Racheklingen
weit über die Brüstung. »Ein Hoch auf unsere großen Herrscher!«
Der Lärm der Menge schwoll an, als der Zug in Sicht kam. Sieben berittene Standartenträger bildeten die Spitze, die Flaggen an den Lanzen alle in genau dem gleichen Winkel befestigt – angesichts der Friedensverhandlungen erschien es wohl angemessen, so zu tun, als seien alle Beteiligten tatsächlich gleichberechtigt. Die Muschel von Sipani. Der weiße Turm von Ospria. Die drei Bienen von Visserine. Das schwarze Kreuz von Talins. Daneben flatterten die Symbole von Puranti, Affoia und Nicante sanft in der Brise. Ein Mann in vergoldeter Rüstung ritt hinter ihnen, und die goldene Sonne der Union hing von seiner schwarzen Lanze.
Sotorius, Kanzler von Sipani, war der erste der Großen und Mächtigen, der ins Blickfeld kam. Oder vielmehr der erste der Hinterlistigen und Gefährlichen, je nachdem, wen man fragte. Er war in der Tat schon sehr alt, sein weißes Haar und der weiße Bart waren dünn, und ihn schien die schwere Amtskette, die er schon getragen hatte, lange bevor Monza geboren wurde, beinahe niederzudrücken. Er humpelte mühevoll dahin und stürzte sich auf einen Stock und auf den ältesten seiner vielen Söhne, der selbst sicherlich schon die sechzig überschritten hatte. Ihm folgten einige Reihen der führenden Bürger von Sipani, und die Sonne brach sich auf funkelnden Juwelen und poliertem Leder, auf heller Seide und golddurchwirktem Stoff.
»Kanzler Sotorius«, erklärte Cosca Espe lautstark. »Entsprechend der Tradition geht der Gastgeber zu Fuß. Er lebt tatsächlich immer noch, der alte Drecksack.«
»Sieht allerdings so aus, als ob er langsam etwas Ruhe brauchte«, brummte Monza. »Dem Mann sollte endlich mal jemand einen schönen Sarg holen.«
»Noch ist es nicht so weit, würde ich sagen. Er mag ja halbblind sein, aber er hat immer noch mehr Durchblick als die meisten anderen. Der äußerst erfahrene Meister des Mittelweges. Irgendwie hat er es geschafft, Sipani zwei Jahrzehnte lang neutral zu halten. Während der ganzen Blutigen Jahre. Seit dem Tag, als ich ihm bei der Schlacht von den Inseln eine blutige Nase verpasst habe!«
Vitari schnaubte. »Das hat dich nicht davon abgehalten, sein Geld anzunehmen, als es zwischen dir und Sefeline von Ospria richtig schiefging, wenn ich mich recht erinnere.«
»Wieso denn auch? Bezahlte Soldaten können hinsichtlich ihrer Dienstherren nicht allzu wählerisch sein. In unserem Geschäft muss man sein Mäntelchen nach dem Wind hängen. Treue ist für einen Söldner so nützlich wie eine Rüstung für einen Schwimmer.« Monza sah Cosca von der Seite an und fragte sich, ob das auf sie gemünzt war, aber er plapperte schon wieder weiter, als ob der Satz gar nichts zu bedeuten hatte. »Dennoch hat er mir nie besonders gefallen, der alte Sotorius. Es war eine Zweckehe, und gleich nach meinem Sieg haben wir uns beide nur allzu gern auf eine Scheidung verständigt. Friedliche Männer haben wenig Verwendung für Söldner, und der alte Kanzler von Sipani hat aus dem Frieden Reichtum und Ruhm für sich herausgeholt.«
Vitari sah abfällig auf die reichen Bürger, die unter ihr dahintrotteten. »So, wie es aussieht, möchte er sein Erfolgsrezept wohl gern verkaufen.«
Monza schüttelte den Kopf. »Da hat er in Orso ganz sicher keinen Abnehmer.«
Die Anführer des Achterbunds folgten als Nächste. Orsos bittere Feinde, und damit auch Monzas, jedenfalls bis zu ihrem Sturz von der Felswand. Sie wurden von einem Regiment unterwürfiger Gefolgsleute begleitet, angetan in hundert verschiedenen Livreen, die sich farblich bissen. Herzog Rogont ritt vorneweg auf einem schwarzen Streitross, die Zügel sicher in einer Hand, und nickte gelegentlich der Menge zu, wenn sie seinen Namen rief. Er war recht beliebt und musste daher öfter nicken, beinahe so sehr, dass sein Kopf wie der eines Truthahns vor- und zurückzuckte. Salier hatte man irgendwie auf einen kräftigen Eisenschimmel gehoben, auf dem er nun neben Rogont dahintrabte. Seine rosigen Hängebacken quollen über den goldbestickten Uniformkragen, im Rhythmus der Bewegungen seines schwer beladenen Pferds immer erst zu einer, dann zur anderen Seite.
»Wer ist der Dicke?«
»Salier, Großherzog von Visserine.«
Vitari kicherte. »Vielleicht noch für ein oder zwei Monate. Er hat die Soldaten seiner Stadt schon im letzten Sommer verschwendet.« Monza hatte sein Heer am Hohen Ufer aufgerieben, mit dem Getreuen Carpi an ihrer Seite. »Die Vorräte
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