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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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geben. Wer fragt, bekommt nichts – das war meine Erfahrung.
    »Vielleicht esse ich es nie«, sagte sie. »Vielleicht werfe ich es eines Tages weg.«
    »Ach so«, sagte ich und hielt den Atem bei dem Gedanken an, dass ich vielleicht doch das bekommen könnte, was ich wollte. »Aber du brauchst es nicht wegzuwerfen, ich esse es für dich.«
    »Willst du es essen?«
    »Ja«, sagte ich und vergaß, mich zu verstellen.
    »Aha! Du willst es also essen.«
    »Nein! Ich...«
    »Doch, das ist doch klar. Und der liebe Gott sagt, weil du bettelst, bist du unwürdig. Du bist nicht demütig, verstehst du.«
    Im Alter von fünf ein Viertel wusste Margaret alles über Gott.
    Ich wusste nur sehr wenig über ihn, außer dass er ein echter Geizkragen war und sich so benahm wie alle anderen auf der Welt auch. Wenn man etwas wollte und darum bat, bedeutete das automatisch, dass man es nicht bekam. Für mich hatte es den Anschein, dass man, so lange Gott in der Nähe war, in seinem Leben nur dann sicher war, wenn man Dinge wollte, die man nicht wollte.
    Der Gott, mit dem ich aufwuchs, war grausam.
    Die Schwester, mit der ich aufwuchs, war grausam.
    Ich war von ihrer Selbstbeherrschung und von meiner eigenen Schwäche verwirrt. Wieso wollte ich ihr Osterei so dringend haben, während sie es in aller Ruhe auf dem Schrank stehenlassen konnte?
    Als ich es schließlich nicht mehr länger aushielt, hatte ich nicht die Absicht, es zu essen.
    Jedenfalls nicht das ganze.
    Ich wollte nur die Beanos in der kleinen Zellophantüte, die in der Mitte des Eis steckte, essen. Ich hatte vor, das Osterei dann wieder in das rote Stanniolpapier zu wickeln, in den Karton zu stecken und auf den Schrank zu stellen wie neu. Und wenn Margaret es schließlich auf- machte und feststellte, dass die Tüte mit den Beanos fehlte, würde sie einfach denken, dass in der Fabrik ein Fehler unterlaufen war. Vielleicht würde ich sagen, dass in meinem Ei auch keine Beanos gewesen waren. Ich freute mich meines schlauen Einfalls, denn das verlieh der Sache Plausibilität.
    Die Vorstellung, dass ich es stehlen würde, setzte sich langsam in mir fest. Ich wählte den Zeitpunkt mit Bedacht.
    Claire und Margaret waren in der Schule. Margarets Lehrerin hatte gesagt, in ihren ganzen achtunddreißig Jahren als Lehrerin hätte sie noch nie ein so wohlerzogenes Mädchen wie Margaret gesehen. Stinkebaby Anna lag in ihrem Bettchen und Mum hängte die Wäsche auf, was normalerweise bedeutete, dass sie lange wegblieb, weil sie mit Mrs. Kilfeather, der Mutter von Angela mit dem Engelshaar, stundenlang über den Gartenzaun hinweg plauderte.
    Ich zerrte einen gelben Korbstuhl zu dem großen, schweren, braunen Kleiderschrank. (Glatte, weiße, schlecht gebaute Plastikschränke standen uns erst noch bevor. Sie galten als modern, und in unserem Haus gab es nichts Modernes.)
    Ich kletterte auf den Stuhl, stellte mich auf Zehenspitzen und streckte mich nach dem Ei. Immer wieder sagte ich mir, dass Margaret das Ei gar nicht wollte, und hatte mich schon fast selbst davon überzeugt, dass ich ihr einen Gefallen tat. Endlich berührte ich es mit den Fingern, und es fiel nach vorn und vom Schrank herunter.
    Ich nahm den Karton und hockte mich damit zwischen mein Bett und die Wand, damit Mum, wenn sie hereinkäme, mich nicht entdeckte.
    Einen Moment lang, bevor ich den Karton öffnete, spürte ich Angst. Aber ich konnte nicht mehr widerstehen. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, mein Herz klopfte wie wild und das Adrenalin pulsierte durch meine Adern. Ich gierte nach Schokolade, und keiner würde sie mir streitig machen.
    Den Karton aufzubekommen, war gar nicht so leicht. Margaret hatte nicht einmal den Tesafilm abgemacht, das muss man sich mal vorstellen! Das hieß, dass sie das Ei gar nicht aufgemacht hatte, nicht einmal, um daran zu lecken.
    Sorgfältig, mit schweißfeuchten dicken Kinderhänden, löste ich den Tesafilm. Natürlich riss der Karton dabei mit ab. Doch ich war viel zu aufgeregt, um mich darum zu kümmern, und verschob das auf später.
    Ehrfurchtsvoll nahm ich das rote, glänzende Ei aus dem Karton, der Geruch überwältigte mich. Nichts hätte ich jetzt lieber getan, als mir die Schokolade gierig in den Mund zu stopfen, aber ich zwang mich, das Ei vorsichtig aus dem Papier zu wickeln. Als es aus dem Papier kam, fiel es in seine zwei Hälften und gab die kleine raschelnde Tüte mit den Beanos frei. Wie das Jesuskind in der Krippe, dachte ich aufgeregt.
    Ich hatte wirklich vorgehabt,

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