Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
brach es mir doch das Herz.
Eine Tasse Tee erschien vor mir auf dem Tisch, und die Zärtlichkeit dieser Geste verzehnfachte meinen Kummer. Ich schluchzte noch lauter und musste mich fast übergeben.
»Vielleicht einen SCHNAPS?« Jemand – es konnte nur Don gewesen sein – kreischte es in mein Ohr.
»Nein.«
»Gott, dann ist es wirklich schlimm«, murmelte ein anderer.
Und zum Glück musste ich darauf kichern.
»Wer hat das gesagt?«, fragte ich durch meine Tränen.
Es war Barry, das Kind, und ich lachte und weinte und weinte und lachte, und jemand streichelte meine Haare (wahrscheinlich Clarence, der eine gute Gelegenheit sofort beim Schopf packte), und jemand anders ließ seine Handfläche über meinen Rücken kreisen, als wäre ich ein Kind, das sein Bäuerchen machen sollte.
»Es ist gleich Zeit für die Gruppensitzung«, sagte jemand. »Meinst du, du kannst gehen?«
Ich nickte, weil ich Angst hatte, allein gelassen zu werden.
»Dann komm ...«, sagte Chaquie, schleppte mich mit sich in unser Zimmer, wo sie alle möglichen Dinge hervorzauberte, um mein verquollenes Gesicht wiederherzustellen. Das hatte nicht ganz die gewünschte Wirkung, denn ihre zarten Fingerspitzen auf meiner Haut brachten frische Tränen zum Fließen, die die teuren Cremes in dem Moment wieder fortspülten, da sie aufgetragen wurden.
Nach der Gruppensitzung drängte Chris sich durch die teilnahmsvolle Menge, die sich um mich gebildet hatte. Ich war froh, dass Chaquie und die anderen ihm ohne ein Wort Platz machten. Damit zeigten sie, dass sie das besondere Band zwischen mir und Chris erkannten. Er lächelte, ein Lächeln nur für mich, und hob eine Augenbraue mit der Frage: »Alles in Ordnung?« Die Besorgnis, die in seinen hellblauen Augen stand, sagte mir, dass ich mir eine Verminderung seines Interesses an mir nur eingebildet hatte.
Er setzte sich, und sein Oberschenkel war an meinen gepresst. Dann legte er zaghaft und ein bisschen nervös den Arm um meine Schulter. Das war anders als die flüchtigen Umarmungen, mit denen er mich normalerweise bedachte. Die zarten Haare in meinem Nacken richteten sich auf. Mein Herz schlug schneller. Das war die intimste Umarmung seit dem Tag, an dem er meine Tränen mit seinen Daumen abgewischt hatte.
Nichts wollte ich mehr, als meinen Kopf an seine Schulter zu legen. Aber ich saß stocksteif da und traute mich nicht. Mach schon, ermutigte ich mich. Mir wurde ganz heiß vor Verlangen nach ihm.
Endlich, als Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern begannen, lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und nahm den sauberen Waschmittelgeruch seines Baumwollhemdes in mir auf. Er riecht nicht wie Luke, dachte ich unwillkürlich. Dann durchzuckte mich der Schmerz meines Verlusts, bevor mir bewusst wurde, dass Chris genauso attraktiv war wie Luke. Wir saßen ganz still da, und Chris’ Arm lag um meine Schulter. Ich schloss die Augen und gestattete mir einen Moment lang die Illusion, dass wir uns in einer perfekten Welt befanden und Chris mein Geliebter war.
Ich fühlte mich an eine frühere, unschuldigere Zeit erinnert, als ein Junge sich höchstens traute, den Arm um einen zu legen und – wenn man Glück hatte – einen zu küssen. Die in Cloisters erzwungene Zurückhaltung war lieblich und romantisch. Sie rührte mich, statt mich zu frustrieren.
Ich konnte seinen Herzschlag hören, der schneller als normal ging. Auch mein Herz schlug schneller.
Mike kam vorbei und stierte uns an. Misty ging hinter Mike, und als sie mich und Chris so sah, warf sie mir einen dermaßen giftigen Blick zu, dass es mir beinahe die Haut verätzt hätte.
Verlegen, als wären wir in flagranti erwischt worden, befreite ich mich aus der Umarmung. Ohne seinen sauberen, männlichen Geruch und das Gefühl seiner starken Schulter und seines Arms durch den weichen Stoff des Hemdes fühlte ich mich beraubt. Ich hasste Misty aus tiefstem Herzen.
»Jetzt erzähl mir mal«, sagte Chris, der die vernichtenden Blicke nicht bemerkt zu haben schien, »warum warst du vorhin so unglücklich?«
»Josephine hat mich in der Gruppe nach meiner Kindheit gefragt.« Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, warum mich das so unglücklich gemacht hat. Hoffentlich werde ich nicht verrückt.«
»Überhaupt nicht«, sagte Chris. »Das ist doch ganz normal. Überleg doch mal. Jahrelang hast du deine Gefühle mit Drogen unterdrückt. Jetzt hast du keine Drogen, und die Trauer und die Wut und so weiter, die du in der Zeit angestaut hast,
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