Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
Vom Netzwerk:
wie ich Margot abschütteln könnte.
    Aber das war aussichtslos.
    Sie schob mich vor sich her zu der Zahnarztpraxis, wo man, so deutete ich die kontrollierte Aufregung, die dort herrschte, mich bereits erwartete. Die knapp vierzehnjährige Sprechstundenhilfe konnte ihren faszinierten Blick kaum von mir abwenden. Ich wusste genau, was sie dachte: Ich war ein Sonderling, ich passte nicht dazu, ich gehörte zu den Außenseitern. Voller Bitterkeit stellte ich mir vor, dass sie die anderen Sprechstundenhilfen den ganzen Morgen bedrängt und gefragt hatte: »Wie sie wohl aussieht, die Junkiefrau?«
    Ich fühlte mich zutiefst missverstanden. Sie verurteilte mich, weil ich von Cloisters kam, aber sie irrte sich gründlich, denn ich war gar keine von denen.
    Mit einem nicht sehr diskreten Naserümpfen bat sie mich, ein Formular auszufüllen.
    »Und die Rechnung geht an ... ehm ... CLOISTERS?«, fragte sie mit vorgetäuschter Diskretion. Die Leute im Wartezimmer waren mit einem Mal putzmunter.
    »Ja«, murmelte ich. Obwohl ich am liebsten gesagt hätte: »Könnten Sie das ein bisschen lauter sagen? Ich glaube, die Leute in Waterford haben Sie nicht gehört.«
    Ich fühlte mich alt und matt und ärgerte mich über die Einstellung der jungen Sprechstundenhilfe. Wahrscheinlich dachte sie, dass sie niemals, nicht in einer Million Jahren, nach Cloisters eingewiesen würde und dass ich ziemlich blöd sein musste, weil ich es so weit hatte kommen lassen. Aber ich war auch einst wie sie gewesen. Jung und dumm. Ich hatte gedacht, dass die tragischen Ereignisse des Lebens mir nichts anhaben könnten. Ich hatte gedacht, dass ich clever genug war, um schlimme Dinge von mir abzuwenden.
    Ich setzte mich und richtete mich auf eine lange Warte- zeit ein. Es lag vielleicht schon eine ganze Weile zurück, dass ich beim Zahnarzt gewesen war, aber ich wusste, wie sich die Dinge dort abspielten.
    Margot und ich saßen schweigend nebeneinander und lasen zerrupfte Exemplare des Catholic Messenger, das Einzige, was es zu lesen gab. Um mich aufzuheitern las ich die Seite mit der Überschrift »Gute Absichten«, auf der von Menschen berichtet wurde, die darum beteten, dass das Schlechte in ihrem Leben vorübergehen möge.
    Zu lesen, dass es auch andere Menschen gab, die unglücklich waren, war immer hilfreich.
    Hin und wieder durchzuckte mich der Schmerz erneut, dann presste ich mein gemartertes Gesicht in die Hand, stöhnte leise und sehnte mich nach Drogen.
    Immer wenn ich aufsah, waren alle Blicke auf mich gerichtet.
    Natürlich war der Schmerz in dem Moment verschwunden, als die Sprechstundenhilfe sagte: »Sie können jetzt zu Dr. O’Dowd.« So ging es mir immer. Ich veranstaltete ein riesiges Theater wegen irgendwelcher Schmerzen oder einer Verletzung, doch kaum stand ich vor dem Arzt, verschwanden alle Symptome, und jeder hielt mich für eine Simulantin.
    Ich schleppte mich in den Behandlungsraum. Schon allein der Geruch reichte, um mir Übelkeit zu verursachen.
    Zum Glück war Dr. O’Dowd ein rundlicher, fröhlicher Mann, der viel lächelte, und nicht die hagere Todesgestalt, die ich mir vorgestellt hatte.
    »Klettern Sie mal hier rauf, mein gutes Mädchen«, sagte er, »und dann schauen wir uns die Sache mal an.«
    Ich kletterte, er schaute.
    Während er mit einem spitzen Metallhaken und einem Spiegel in meinem Mund herumfuhrwerkte, fing er eine Unterhaltung an, mit der er mir die Angst nehmen wollte.
    »Sie kommen also aus Cloisters?«, fragte er.
    »Haaahr«, sagte ich und versuchte zu nicken.
    »Alkohol?«
    »Gein.« Ich versuchte, ein Nein anzudeuten, indem ich mit den Augenbrauen wackelte. »Grogn.«
    »Ach so, Drogen, ja?« Erleichtert stellte ich fest, dass er nicht vorwurfsvoll klang.
    »Ich frage mich oft, wie man weiß, dass man Alkoholiker ist«, sagte er.
    Ich wollte sagen: »Mich dürfen Sie nicht fragen«, aber es kam heraus als: »Ik ürken I ik gragn.«
    »Wenn man nach Cloisters kommt, dann weiß man ja offenbar, dass man Alkoholiker ist – dieser Zahn macht es nicht mehr lange.«
    Ich wollte mich senkrecht aufrichten, aber er bemerkte meine Beunruhigung gar nicht.
    »Ich meinerseits trinke nicht jeden Tag«, sagte er. »Mit einer Wurzelfüllung können wir ihn vielleicht retten. Und am besten machen wir uns gleich an die Arbeit.«
    Eine Wurzelfüllung! O nein! Ich wusste zwar nicht, was eine Wurzelfüllung war, aber so wie andere, die eine bekamen, darüber redeten, nahm ich doch an, dass man sich davor fürchten

Weitere Kostenlose Bücher