Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Gruppensitzungen stürzte Josephine sich nach einem Muster, das ich inzwischen kannte, auf Chaquies Psyche und zauberte immer wieder neue Kaninchen aus dem Hut.
Es wurde klar, dass Dermot, so abstoßend er auch sein mochte, nicht gelogen hatte.
Josephine ließ nicht locker und setzte Chaquie immer wieder so unter Druck, bis die schließlich ihren Alkoholkonsum nicht länger leugnete. Als sie schließlich bekannte, dass sie eine Flasche Bacardi am Tag trank, bohrte Josephine immer weiter, bis Chaquie zugab, dass sie den Bacardi mit Brandy und Valium ergänzte.
Dann machte sich Josephine auf die Suche nach den Gründen.
Sie kreiste um zwei Aspekte: zum einen um Chaquies Obsession mit ihrem Aussehen, und zum anderen um Chaquies Beharren darauf, dass sie ein rechtschaffenes Mitglied der oberen Mittelschicht sei. Und wie immer war Josephine genau auf der richtigen Fährte.
Alles kam ans Tageslicht: Chaquies Herkunft aus bitterarmen Verhältnissen und ihre Kindheit in einer Sozialwohnung in einem Armenviertel von Dublin. Ihr Mangel an Bildung sowie die Tatsache, dass sie alle Kontakte zu ihrer Familie abgebrochen hatte, aus Angst davor, dass jemand aus ihrem alten Leben plötzlich vor ihren neuen begüterten Freunden auftauchen könnte, und ihre schreckliche Angst davor, wieder in die ärmlichen Verhältnisse ihrer Kindheit zurückkehren zu müssen. Es stellte sich heraus, dass sie niemanden außer Dermot hatte.
Sie war völlig abhängig von ihm und hasste ihn dafür von ganzem Herzen.
Chaquie gab zu, dass sie sich in ihrem Bekanntenkreis nie wohlgefühlt hatte und ständig von der Angst getrieben war, dass man sie durchschauen und als die Fälschung entlarven würden, als die sie sich ohnehin fühlte.
Ich betrachtete sie, ihre glatte Haut und ihr goldenes Haar und die makellosen Nägel, und war voller Ehrfurcht davor, wie perfekt sie sich neu erfunden hatte. Nie hätte ich geglaubt, dass unter der glatten, glitzernden Oberfläche soviel Schmerz und Verunsicherung tobten.
Dann fragte Josephine sie zu der Sache mit dem Teppichmann. Nach einem langwierigen Frage-und-Antwort-Spiel, das für mich als Zuhörerin sehr schmerzhaft war, gab Chaquie endlich zu, dass sie ihren neuen Teppich eingeweiht habe, indem sie darauf mit dem Teppichverleger Sex gehabt hatte.
Die Einzelheiten waren nicht schlüpfrig und faszinierend, sondern einfach nur obszön. Sie sagte, sie habe es nur getan, weil sie betrunken gewesen sei und sich verzweifelt nach Zuneigung gesehnt habe.
Mein Herz floss über vor Mitleid. Ich dachte, Menschen in meinem Alter würden so etwas tun. Dass jemand wie sie, in ihrem Alter und in ihrer sozialen Stellung, sich so verhielt, machte es noch erbärmlicher und schockierender. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass ich nicht wie Chaquie enden wollte.
So könnte es dir auch gehen, sagte mein Verstand.
Wieso denn das?, fragte ein anderer Teil.
Das weiß ich nicht, sagte die erste Stimme, ich weiß nur, dass es so sein könnte.
»Als ich wieder nüchtern war, wäre ich am liebsten vor Scham gestorben«, sagte Chaquie unter Tränen.
Doch damit gab Josephine sich nicht zufrieden und hakte so lange nach, bis Chaquie zugab, dass sie häufig Sex mit Männern hatte, die sie nicht kannte, meistens mit Vertretern.
Es war erstaunlich, besonders in Anbetracht des streng katholischen Standpunkts, den Chaquie immer eingenommen hatte. Doch andererseits, so begriff ich langsam, als ich anfing, die Cloisters-Methode zu durchschauen, war es vielleicht überhaupt nicht so erstaunlich. Sie kleisterte die Risse ihres beschämenden Verhaltens mit aller Macht zu, indem sie vorgab, der aufrechte, anständige Mensch zu sein, der sie sein wollte.
Ich war von all dem überwältigt.
Am Freitagabend merkte ich, dass das entsetzliche Gefühl der Trauer vom Anfang der Woche gewichen war. Weil es nun heftig zurückkehrte.
»Die Zahnschmerzen haben Sie nicht lange ablenken können«, sagte Margot lächelnd, als ich mir beim Abendessen die Augen ausweinte.
Ich hätte ihr meinen Teller mit Schweinefleisch und Kohl an den Kopf werfen sollen, aber ich weinte einfach noch mehr.
Ich war nicht die Einzige.
Neil schluchzte zum Steinerweichen. An diesem Nachmittag war es Josephine in der Gruppensitzung endlich gelungen, durch seine Verleugnung zu dringen. Plötzlich sah er, was alle anderen längst erkannt hatten: Dass er Alkoholiker war und seinem verhassten Vater in puncto Abscheulichkeiten in nichts nachstand. »Ich hasse mich«,
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