Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Haschisch?«, krächzte ich.
»Glaub mir«, grinste er, »das hat gereicht.«
Ich hatte gedacht, um drogensüchtig zu sein, müsste man an der Nadel hängen. Unruhig stellte ich ihm eine weitere Frage.
»Woher hattest du das Geld?« Ich hoffte, er würde sagen, er habe gedealt oder sei Zuhälter gewesen.
»Ich habe gearbeitet.« Er schien überrascht.
»Aber ...« Ich war verwirrt. »Du klingst überhaupt nicht wie ein Drogensüchtiger.«
Er machte den Mund auf, und es strömte aus ihm heraus: »Ich war fast jeden Abend allein und immer völlig zu. Auf meine Arbeit konnte ich mich meistens nicht ordentlich konzentrieren. Ich überlegte die ganze Zeit, woher ich den Stoff für den nächsten Joint bekommen sollte. Ich wollte nichts unternehmen, nicht ins Kino oder essen gehen, weil das die Zeit, in der ich bekifft sein konnte, verkürzte.«
Er hielt inne und fragte beiläufig: »Findest du es jetzt schlimm genug?«
»Nein.« Ich war immer noch verwirrt.
»Gut«, sagte er und atmete tief durch. »Ich hatte überall Schulden, ich hatte keine Freunde. Und abgesehen davon, dass ich mein Leben nicht richtig im Griff hatte, war das, was in meinem Kopf vor sich ging, auch nicht gut. Ich fühlte mich immer als Außenseiter, konnte nicht mithalten, verstehst du?«
Ich nickte vorsichtig.
»Dann habe ich mich mit den falschen Leuten angefreundet, bin in Beziehungen geraten, die ungut waren. Mir war niemand wichtig, außer mir selbst. Und selbst ich war mir nicht besonders wichtig.«
Ich überlegte, was für Beziehungen er wohl meinte. »Jedes Mal, wenn das Leben mir Steine in den Weg legte, habe ich zu Drogen gegriffen. Als ich hierherkam, sagten sie, ich sei emotional auf dem Stand eines Zwölfjährigen.«
»Wie wollen sie das wissen?« Welche Maßstäbe konnte man da anlegen?
»Weil ich in dem Alter anfing, Drogen zu nehmen. Man wird nur erwachsen, wenn man lernt, mit dem ganzen Scheiß umzugehen, den das Leben für einen bereithält. Aber jedes Mal, wenn sich in meinem Leben ein Problem auftat, bin ich dem aus dem Weg gegangen. Also sind meine Gefühle auf dem Stand eines Zwölfjährigen stehengeblieben.«
»Ich verstehe nicht, warum es so schlimm ist, zwölf zu sein.« Ich lachte, damit er verstand, dass ich einen Witz machte.
Er fand ihn nicht witzig.
»Ich meine, ich habe noch nie Verantwortung übernommen. Ich habe andere enttäuscht, ich habe Vereinbarungen nicht eingehalten ...«
Ich fing an, ihn nicht mehr zu mögen. Er war mir viel zu ernst und humorlos.
»Ich habe Tausende und Abertausende von Lügen erzählt, um meine eigene Haut zu retten und damit die anderen nicht sauer auf mich waren.«
Jetzt hatte er es sich wirklich mit mir verscherzt. Was für ein Jammerlappen!
»Wann hast du mit Drogen angefangen?«, fragte er, sodass ich ihn überrascht ansah.
Ich?
»Ich war ungefähr fünfzehn«, sagte ich und stolperte über die Worte. »Aber ich habe sie immer nur in Gesellschaft genommen. Und ich habe nie getan, was du da beschreibst: Drogen genommen, wenn ich allein war, Geld geschuldet oder verantwortungslos gehandelt ...«
»Wirklich nicht?«, fragte er und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Was ist daran so lustig?« Ich war verärgert.
»Nichts.«
Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Und was machst du, wenn du hier rauskommst?«, fragte ich.
»Mal sehen. Arbeit suchen, mich ordentlich aufführen. Man weiß ja nie.« Er zwinkerte mir zu. »Vielleicht gehe ich auch nach New York. Und wenn ich da bin, kann ich mir ja mal diesen Luke vorknöpfen.«
Vor meinen Augen tanzten Sterne, und ich flog davon ins Land der Träume. Ich stellte mir vor, dass ich wieder nach New York kam, Arm in Arm mit Chris, dass wir bis über beide Ohren ineinander verliebt waren und in die Cute Hoor gingen. Chris war gefühlsmäßig nicht mehr auf dem Stand eines Zwölfjährigen, und wir beide wollten uns an unserem Glück erfreuen. Ein gutaussehendes Paar wie geschaffen für einander.
Natürlich würden wir niemandem erzählen, wo wir uns kennengelernt hatten.
Andere Bilder tauchten auf. Luke krümmt sich vor Schmerz und Trauer. Luke bettelt, ich möge zu ihm zurückkommen. Luke wird vor Eifersucht verrückt und versucht, Chris zusammenzuschlagen ... So endete mein Traum jedes Mal: Luke versucht, Chris zusammenzuschlagen. Mein Lieblingstraum.
42
A n dem Abend, als Luke aus meiner Küche stürmte – o doch, auch wenn es sehr kontrolliert war, ist er doch gestürmt –, kam unsere wahre Liebe voll und ganz
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