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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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schluchzte er und hielt den Kopf in den Händen. »Ich hasse mich.«
    Auch Vincent war in Tränen aufgelöst, weil Josephine in der Morgensitzung seine Kindheit einer Analyse unterzogen hatte. Und Stalin heulte wie ein Schlosshund, weil er einen Brief von Rita bekommen hatte, in dem sie schrieb, dass er nach seiner Entlassung nicht nach Hause zu kommen brauche. Sie habe die Scheidung eingereicht.
    Im Speisesaal saßen so viele weinenden Menschen, dass es an eine Kinderkrippe erinnerte.
    »Sie hat einen anderen kennengelernt«, heulte Stalin, »einen anderen, der ...«
    »... der ihr die Rippen brechen kann«, unterbrach Angela ihn, und presste ihren schmalen, halbmondförmigen Mund in dem fetten Gesicht noch enger zusammen.
    Oje! Angelas Selbstgerechtigkeit zeigte klar, dass sie noch neu war. Wenn erst einmal ihr WBB kam, der der Gruppe erzählte, wie sie ihrer Mutter mit einem Karateschlag den Arm gebrochen hatte, damit sie an ihr vorbei nach der letzten Scheibe Viennetta greifen konnte, oder dergleichen, dann würde ihr das selbstgerechte Verhalten schnell vergehen.
    Sie tat mir leid.
    Wie immer wurde am Freitagabend die neue Liste der Aufgabenverteilung am Schwarzen Brett ausgehängt. In dem Moment, da Frederick sie mit einer Reißzwecke befestigt hatte, drängten wir uns alle um ihn, um möglichst schnell zu sehen, wohin uns das Schicksal verschlug – als wäre es eine Liste der Gefallenen. Als ich sah, dass ich in Vincents Team war und somit, schlimmer noch, Frühstücksdienst hatte, war ich sehr, sehr unglücklich. Gut, ich war sowieso schon unglücklich, aber jetzt war ich regelrecht niedergeschmettert. So zutiefst unglücklich, dass ich nicht mal mehr wütend aufbegehren wollte. Ich wollte einfach nur ins Bett gehen und nicht wieder aufwachen.
    Chris kam zu mir mit einer Packung Papiertaschentücher.
    »Erzähl mir was Lustiges«, sagte ich und lächelte mit wässrigen Augen, »lenk mich ab.«
    »Das sollte ich eigentlich nicht tun«, sagte er, »du solltest den Schmerz zulassen und ...«
    Drohend hob ich meine Teetasse.
    »Ganz ruhig.« Er lächelte. »Nur ein kleiner Scherz. Was ist denn los?«
    »Ich bin in Vincents Team«, sagte ich und erzählte ihm den Teil meines Kummers, der am fassbarsten war. »Und ich habe Angst vor ihm, er ist so aggressiv.«
    »Wirklich?« Chris sah zu Vincent hinüber, der sich am anderen Ende des Tisches die Augen ausweinte.
    »Ich finde, er sieht nicht besonders aggressiv aus.«
    »Aber er war es«, sagte ich zweifelnd. »Als ich neu war ...«
    »Das war vor zweiWochen«, sagte Chris.»Eine Woche ist lang, wenn man eine Psychotherapie macht.«
    »Oh, oh«, sagte ich bedächtig, »du meinst, er ist jetzt anders? Aber er wirkte so bedrohlich.« Ich hatte das Gefühl, Chris daran erinnern zu müssen.
    »Die Leute verändern sich«, erklärte er freundlich. »Darum geht es doch hier in Cloisters.«
    Das machte mich sauer.
    »Erzähl mir, wieso du in diesem Irrenhaus bist.« Ich hatte schon immer etwas über Chris und seine Vergangenheit wissen wollen, und wünschte, ich wäre in seiner Gruppe, damit ich mehr über ihn erfahren könnte, aber bisher hatte ich nicht den Mut gehabt, ihn direkt zu fragen.
    Ich war überrascht, als ein schmerzerfüllter Ausdruck über sein Gesicht huschte wie eine Brise über ein Kornfeld. Ich hatte ihn bisher für so beherrscht und allwissend gehalten, dass mir seine Verletzbarkeit Angst machte.
    »Ich bin nicht zum ersten Mal hier, weißt du«, sagte er und zog einen Stuhl zu mir heran.
    »Das wusste ich gar nicht«, sagte ich. Ich war schockiert. Das bedeutete, dass seine Drogensucht ziemlich fortgeschritten war.
    »Ja, vor vier Jahren war ich schon einmal hier und habe nie richtig zugehört. Aber diesmal mache ich es gründlich, und dann packe ich mein Leben richtig an.«
    »War es bei dir sehr schlimm?«, fragte ich nervös. Ich mochte ihn so sehr, dass ich nicht hören wollte, wie er sich, eine Nadel im Arm, in seinem eigenen Erbrochenen herumgewälzt hatte.
    »Kommt drauf an, was du mit ›sehr schlimm‹ meinst«, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln. »Es war zwar nicht wie in Trainspotting, dass ich Smack genommen und in einem besetzten Haus gelebt habe, aber es war auch kein erfülltes, nützliches Leben.«
    »Was für ... eh ... Drogen hast du denn genommen?«
    »Hauptsächlich habe ich Hasch geraucht.«
    Ich wartete darauf, dass er eine lange Liste aufführte: Crack, Angel Dust, Heroin, Jellies ... Aber es kam nichts.
    »Einfach nur

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