Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
fragte ich Helen.
»Ich werde sie in nächster Zeit nicht sehen«, sagte Helen. »Ich arbeite jetzt.«
»Du arbeitest?« Ich war sehr überrascht. Nicht nur war Helen extrem faul, sondern sie hatte – wie ich auch – nichts gelernt. »Seit wann?«
»Seit Mittwochabend.«
»Und was machst du?«
»Ich bediene.«
»Wo?«
»In einem ...« Sie suchte nach einer passenden Beschreibung. »... einem Schlachthaus in Temple Bar, es heißt Club Mexxx. Mit drei x«, sagte sie. »Daran siehst du schon, was das für ein Schuppen ist.«
»Na, herzlichen Glückwunsch, ehm«, sagte ich. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob das angemessen war. Fast, als würde man einer Freundin gratulieren, die gerade herausgefunden hat, dass sie schwanger ist, aber keinen Mann dazu vorweisen kann.
»Kann ich was dafür, dass ich zu klein bin, um als Stewardess angenommen zu werden?«, empörte sie sich plötzlich.
»Ich wusste gar nicht, dass du dich als Jungfrau der Lüfte beworben hattest«, sagte ich überrascht.
»Hatte ich aber«, erwiderte sie schmollend. »Und es würde mir auch nichts ausmachen, abgelehnt zu werden, aber es war nicht einmal eine richtige Fluggesellschaft, sondern eine von diesen beknackten Charter-Gesellschaften, Air Paella, die jeden einstellen. Außer mir.«
Ich war schockiert, weil ihre Enttäuschung so spürbar war. Sie hatte immer genau das bekommen, was sie wollte. In einer Geste der Verzweiflung schlug sie die Hände vors Gesicht, was mich zutiefst beunruhigte. »Es würde mir nichts ausmachen, Rachel, aber ich hatte alles perfekt einstudiert, ich sah aus wie geschaffen für den Job.«
»Wie meinst du das?«
»Du weißt schon: eine millimeterdicke Schicht brauner Grundierung, weißer Hals, künstliches Lächeln, bei dem es jedem kalt den Rücken runterläuft, und der Abdruck der Unterhose auf dem Rock. Ganz abgesehen von der parziellen Taubheit. Ich wäre phantastisch gewesen!«
Mit zitternder Unterlippe fuhr sie fort: »Ich habe richtig geübt, Rachel. Wirklich. Ich war zu allen Frauen, denen ich begegnet bin, unfreundlich und habe jeden Mann angehimmelt. Ich habe am Gefrierschrank geübt, immer Tür auf, Tür zu, habe genickt, künstlich gelächelt und gesagt: ›AufWiedersehenDankeDanke AufWiedersehenAufWiedersehenAufWiedersehenDankeDanke«, stundenlang, aber sie haben gesagt, ich bin zu klein. ›Wozu muss ich denn groß sein?‹, habe ich sie gefragt. Und sie haben gesagt, damit ich das Gepäck in den Gepäckfächern verstauen kann. Na, das ist doch absoluter Blödsinn! Als Stewardess ist es ja gerade dein Job, die Frauen nicht zu beachten und sie es selbst machen zu lassen. Und wenn ein Mann deine Hilfe braucht, siehst du ihn mit einem bezaubernden Augenaufschlag an und lässt ihn das Gepäck allein hochheben. Und er macht es gern. Ausgesprochen gern.«
»Warum mit der Tür vom Gefrierschrank?«
»Weil es beim Ausgang, wo sie stehen, immer so eisig ist, ist doch klar.«
»Na ja, auf jeden Fall war es eine gute Idee, vorher zu üben«, sagte ich verlegen.
»Üben?«, schaltete sich Mum ein. »So was soll üben sein? Sie hat den Gefrierschrank abgetaut, und einen ganzen Karton mit Magnum und den mit den Eisschnitten ebenfalls, mit ihrem ›DankeAufWiedersehenAufWiedersehen Danke‹. Ein feines Üben!«
»Es waren doch lauter Magnum Mint«, sagte Helen. »Kaum den Platz wert, den sie im Gefrierschrank weggenommen haben. Es war der Gnadentod, ein Akt der Menschlichkeit.«
Mum tat weiterhin ihre Missbilligung kund, als wäre sie Skippy, das Känguruh, das mitzuteilen versucht, dass Bruce aus dem Wasserflugzeug gestürzt war und sich den Arm an drei Stellen gebrochen hatte und aus einem Sumpf voller Krokodile gerettet werden musste.
»Und schönen Dank auch für deine Unterstützung, Mum«, platzte Helen heraus, als wäre sie zwölf. »Wahrscheinlich wünschst du dir, dass ich überhaupt keine Arbeit gefunden hätte.«
Ich wartete darauf, dass sie mit: »Ich habe auch nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen«, fortfahren und aus dem Zimmer stürmen würde.
Aber dann fiel uns wieder ein, wo wir uns befanden, und wir mäßigten uns.
Mum wandte sich wieder ab. Diesmal, um sich mit den Eltern von Misty O’Malley zu unterhalten. Dad war immer noch in sein Gespräch mit Chris’Vater vertieft.
»Hast du zufällig Briefmarken dabei?«, fragte ich Helen. Wenn sie Anna den Brief nicht überbringen konnte, würde ich versuchen, ihn in die Post zu schmuggeln. Irgendwie müsste das doch
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