Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Kleider, meine Freunde, wo ich wohnte, wofür ich mein Geld ausgab. Sogar die Musik, die ich mochte.«
Josephine nickte verständnisvoll.
»Ich wusste ja, dass sie sich über die Klamotten, die meine Freunde und ich tragen, amüsierte, und das fand ich nicht weiter schlimm. Wir kannten das ja. Aber dann fing sie an, mich in der Öffentlichkeit zu übergehen und so zu tun, als gehörten wir nicht zusammen. Und das war kein bisschen lustig.«
Ich sah in sein offenes, aufrichtiges Gesicht, und einen Moment lang hatte ich wie schon bei Brigit Mitleid mit ihm. Armer Luke, dachte ich, dass man ihn so behandelt. Dann fiel mir ein, dass ich ja diejenige war, die ihn angeblich so schlecht behandelt hatte, und dass das so gar nicht stimmte. So ein Jammerlappen.
»Das erste Mal, als Rachel mich wie Luft behandelte, dachte ich: Na gut, sie ist ein bisschen weggetreten, könnte jedem passieren. Aber nach einer Weile kam ich nicht mehr drum herum. Sie tat es absichtlich. Mit voller Absicht, Mann! Wenn sie einem dieser Designertypen begegnete, wurde sie richtig komisch mit mir und ließ mich einfach stehen wie den letzten Idioten. Einmal ist sie bei einer Party gegangen, ohne sich von mir zu verabschieden. Ich hatte sie dorthin mitgenommen, und sie traf diese beiden Zicken – ’tschuldigung! –, Helenka und Jessica, und die haben sie zu sich nach Hause eingeladen.«
»Wie fühlten Sie sich?«, fragte Josephine.
»Beschissen«, sagte Luke mit belegter Stimme. »Sie schämte sich meiner, ich war jemand, den man ablegen konnte, wegwerfen. Es war einfach beschissen.«
Einen Moment lang war ich zerknirscht. Dann sah ich ihn höhnisch an und dachte: Stell dich nicht so an. Ich bin diejenige, die Grund zu Selbstmitleid hat, nicht du.
Ich war konsterniert, als Josephine Luke unvermittelt fragte: »Haben Sie Rachel geliebt?« Mein Magen krampfte sich zusammen.
Es folgte eine lange, angespannte, unerträgliche Pause. Ich hielt den Atem an. Hat er mich geliebt?
Verzweifelt wünschte ich mir, dass er ja sagen würde. Er richtete sich auf und fuhr sich mit den Händen durch seine langen Haare. Ich hing an seinen Lippen. Er atmete tief ein, bevor er sprach.
»Nein«, sagte er dann. Und ein Teil von mir sank in sich zusammen und starb.
Ich schloss meine Augen angesichts des Schmerzes.
Das ist nicht wahr, sagte ich mir hartnäckig. Er war verrückt nach dir. Er ist es immer noch.
»Nein«, wiederholte er.
Jetzt ist es aber gut, dachte ich, wir haben es schon beim ersten Mal verstanden, du musst nicht noch eins draufsetzen.
»Wenn sie die Rachel gewesen wäre, die nicht immer bis oben zugeknallt war und sich bei diesen Scheißmodeleuten einschleimte«, sagte er nachdenklich, »dann hätte ich sie geliebt, ganz klar. Eine Bessere gab es nicht. Aber das war nicht der Fall«, fügte er hinzu, »und jetzt ist es zu spät.«
Ich starrte ihn an. Ich sah die Trauer in seinem Gesicht. Er wich meinem Blick aus.
Josephine schwieg einen Moment und sah Luke an. »Hierherzukommen und uns Rede und Antwort zu stehen, muss für Sie sehr schwierig gewesen sein, nehme ich an?«
»Ja«, murmelte er. »Ich bin sehr ...«, lange Zeit sagte er nichts, »traurig.«
Das Wort verhallte im Raum.
In meinem Hals steckte ein Riesenkloß. In meiner Brust brannte es wie Feuer, aber ich hatte eine Gänsehaut.
Josephine verkündete das Ende der Sitzung. Brigit stand auf und ging, ohne mich anzusehen. Bevor Luke den Raum verließ, sah er mich lange an. Ich versuchte, etwas in seinem Blick zu erkennen? Zerknirschung? Scham?
Aber ich konnte ihn nicht deuten.
Als sich die Tür hinter ihnen schloss, versammelten sich die anderen Insassen um mich herum, sie wollten mich trösten und beschützen. Ich kannte diesen Blick – eine Mischung aus Mitleid und Neugier –, ich hatte selbst oft genug so geguckt, wenn ihre WBB gegen sie ausgesagt hatten. Und ich konnte es nicht ertragen.
54
M eine zur Hälfte gepackte Reisetasche auf dem Fußboden sah mich vorwurfsvoll an. Und verspottete mich, weil ich gedacht hatte, ich könnte abreisen.
Ich hatte gedacht, ich würde mich in dem Moment, da meine drei Wochen um waren, davonstürzen. Lukes und Brigits Besuch machte jeden Gedanken daran unmöglich. Die beiden waren am Mittwoch kaum abgefahren, als ich zu Dr. Billings gerufen wurde.
Der große, eigentümlich wirkende Mann begrüßte mich, und als er einen missglückten Versuch machte zu lächeln, ahnte ich schon, dass er mir nichts Gutes mitzuteilen hatte.
»Nachdem
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