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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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der so oberflächlich ist, dass er Menschen nach ihrer Erscheinung beurteilt, ohne darüber nachzudenken, ob er sich anderen gegenüber anständig verhält. Jemand, der so egoistisch ist und stiehlt, ohne einen Gedanken daran, was er damit dem Bestohlenen antut. Jemand, der seine Kollegen und Arbeitgeber jederzeit im Stich lässt. Ein Mensch mit einem verbogenen und verzerrten Wertesystem. Ein Mensch, der sich selbst so wenig erkennt, dass er je nach der Gesellschaft, in der er sich befindet, den Akzent wechselt ...«
    Sie hörte gar nicht mehr auf. Jedes Mal, wenn sie einen Satz beendet hatte, dachte ich, das sei das Ende ihrer Ansprache, aber nein.
    Ich versuchte wegzuhören.
    »Das sind Sie, Rachel«, war ihr Schlusssatz. »Sie sind dieses amorphe, formlose Geschöpf. Keine Loyalität, keine Integrität, nichts.«
    Ich zuckte die Achseln. Aus irgendeinem Grund hatte sie keinen Eindruck gemacht. Ich spürte ein kleines Triumphgefühl.
    Josephine sah mich spöttisch an. »Ich weiß, dass Sie all Ihre Energie aufwenden, um mich nicht an sich heranzulassen.«
    Woher weiß sie das?, fragte ich mich plötzlich voller Angst.
    »Aber ich bin nicht Ihre Feindin, Rachel«, fuhr sie fort, »Ihre wahre Feindin sind Sie selbst, und die geht nicht fort. Sie werden heute aus diesem Raum gehen und sich großartig fühlen, weil Sie sich nicht geöffnet haben, aber das ist kein Sieg, es ist ein Scheitern.«
    Plötzlich war ich schrecklich müde.
    »Ich sage Ihnen jetzt, warum Sie so ein schrecklicher Mensch sind, soll ich?«, fragte sie.
    »Soll ich?«, wiederholte sie, als ich nicht antwortete.
    »Ja.« Das Wort wurde aus mir herausgepresst.
    »Sie haben ein erschreckend geringes Selbstwertgefühl«, sagte sie. »In Ihrer eigenen Einschätzung sind Sie nichts wert. Aber Sie möchten sich nicht gern wertlos fühlen, richtig? Deshalb suchen Sie von Menschen, die Sie bewundern, Bestätigung. Zum Beispiel von dieser Helenka, von der Brigit erzählte. Das stimmt doch, oder?«
    Ich nickte schwach. Es stimmte ja, Helenka war tatsächlich jemand, der einen Wert hatte. Da stimmte ich ihr zu.
    »Aber es ist sehr beunruhigend«, fuhr sie fort, »wenn man kein Vertrauen zu sich selbst hat. Sie schweben einfach nur und warten darauf, dass jemand sie verankert.«
    Wenn Sie meinen.
    »Deswegen konnten Sie Ihrer Entscheidung hinsichtlich Luke nicht trauen«, erklärte sie weiter. »Sie waren gespalten, weil Sie ihn einerseits wollten und andererseits das Gefühl hatten, dass Sie das nicht durften, denn der einzige Mensch, der Ihnen sagte, dass es in Ordnung war, waren Sie selbst. Und Sie glauben sich selbst nicht. Wie aufreibend, so zu leben!«
    Es war tatsächlich aufreibend gewesen, erkannte ich mit einem Blick in die Erinnerung. Manchmal hatte ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden, weil ich die Bestätigung der anderen gegen Lukes Gesellschaft abwägen musste.
    Ich erinnerte mich an eine Party, zu der ich mit Luke gegangen war, in der sicheren Überzeugung, dass niemand, den ich kannte, dort sein würde. Doch zu meinem Entsetzen war der erste Gast, den ich sah, Chloe, eine von Helenkas Getreuen. In plötzlicher Panik drehte ich mich um und rannte aus dem Raum. Luke kam ganz verstört hinter mir her. »Was ist los, Babe?«, fragte er besorgt. »Nichts«, murmelte ich. Ich zwang mich dazu, wieder in den Raum zu gehen, aber den ganzen Abend saß ich wie auf brennenden Kohlen und versuchte, mich in die Ecken zu verdrücken und nicht zu nah neben Luke zu stehen, falls jemand (Chloe) merkte, dass ich mit ihm zusammen war. Ich war wütend, wenn er seinen Arm um mich legte oder mich küssen wollte, und fühlte mich erbärmlich, wenn ich den verletzten Ausdruck in seinen Augen sah, als ich ihn zurückwies. Schließlich betrank ich mich, weil ich das Gefühl hatte auszuflippen.
    »Wäre es nicht viel schöner gewesen, Sie wären aufrecht neben ihm gegangen und stolz darauf gewesen, dass er Ihr Freund war?«, sagte Josephine und zerrte mich aus meinem Alptraum. »Hier bin ich, Leute, da könnt ihr sagen, was ihr wollt.«
    »Aber ... oh, Sie haben einfach keine Ahnung!«, sagte ich frustriert. »Sie müssten in New York leben, dann wüssten Sie, wie wichtig diese Leute sind.«
    »Mir sind sie nicht wichtig.« Josephine lächelte über das ganze Gesicht. »Und sie sind auch Misty hier nicht wichtig.«
    Misty schüttelte heftig den Kopf, aber das war ja klar. Diese alte Zicke!
    »In der Welt gibt es Millionen von Menschen, die ganz zufrieden leben, ohne

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