Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Mutter sagen würde. Als ob er am Freitagabend seine Lohntüte abgeben und fragen müsste, ob er sich in der Kneipe noch mit seinen Freunden treffen dürfe. Als ob seine Mutter eine religiöse Fanatikerin wäre, die Vorhänge immer vorgezogen hätte und in jedem der winzigen, muffigen, unheimlichen Zimmer voller Spitzendeckchen ein ewiges Licht brennen ließ.
Zum Glück hatte der Familiensitz der Hutchinsons nichts von alledem. Er zeugte von dem in den Vororten üblichen Wohlstand: Anbauten und Umbauten, Wintergärten und Patios, Mikrowellenherd und Videorecorder, und nirgendwo auch nur die Andeutung eines ewigen Lichts.
Chris führte mich in die Küche, und während er das Wasser aufsetzte, kletterte ich auf einen Hocker an der Frühstücksbar – natürlich hatten sie eine Frühstücksbar – und ließ meine Beine baumeln, um zu zeigen, dass ich entspannt war und nicht voller Befürchtungen und Vorahnungen dessen, was bevorstand.
Ich wusste, dass ich sterben würde, wenn etwas zwischen uns passierte, und dass ich sterben würde, wenn nicht.
Ich hörte Josephines warnende Worte: »Instinktiv suchen Sie nach jemandem, der sie heilen soll. Nach einem Mann. Höchstwahrscheinlich muss es ein Mann sein.«
Doch dann sah ich Chris an und seine Jeans, die sich um seine harten Oberschenkel schmiegten, und dachte: Sie kann mich mal.
Chris war nicht irgendein Mann, er war überdurchschnittlich attraktiv. Und wir beiden hatten so viel gemeinsam, viele gemeinsame Erfahrungen. Wenn es uns erlaubt wäre, eine Beziehung anzufangen, wären wir wie geschaffen füreinander.
Er setzte sich auf einen der anderen Hocker und rückte ihn nah zu mir heran. So wie wir saßen, berührten sich unsere Knie. Dann zuckte ich zusammen, weil er sein Knie zwischen meine schob. Verlegen bemerkte ich, wie laut mein Atem ging.
So hatten wir viele Male in Cloisters gesessen, und es war nichts dabeigewesen. Aber jetzt waren wir nicht mehr in Cloisters, wurde mir mit einem mulmigen Gefühl bewusst. Als wäre ich aus einem Flugzeug gesprungen und merkte gerade, dass ich meinen Fallschirm vergessen hatte.
»Das hier«, sagte Chris mit einem Lächeln, das meine Eingeweide verschmurgeln ließ, »wollte ich schon die letzten zwei Monate tun.«
Und dann küsste er mich.
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I ch wusste, dass es für keinen von uns beiden richtig war. Ich hatte sogar den starken Verdacht, dass er mich gar nicht begehrte. Aber ich war entschlossen, es trotzdem zu tun.
Ich hätte es lassen sollen.
Es war eine von diesen alptraumartigen Sexgeschichten, bei denen man innerhalb von drei Sekunden begreift, dass dies ein schrecklicher, entsetzlicher Irrtum ist.
Aber unter den Umständen, wenn man von achtzig Kilo keuchender Männlichkeit in die Matratze gedrückt wird, wie kann man da aufstehen und sich vornehm zurückziehen?
Man kann nicht so tun, als hätte man gerade jemanden hereinkommen sehen, den man kennt.
Das geht nicht.
Man kann auch nicht auf seine Uhr schauen und irgendwas murmeln von der Mitbewohnerin, die keinen Schlüssel hat und gleich zurück sein wird.
Schön wär’s.
Man muss bleiben, solange es dauert, und kann nur die Zähne zusammenbeißen und es über sich ergehen lassen. Augen zu und durch.
Als wir beide uns auszogen – das allein war schon eine Tortur –, spürte ich, wie meine Erregung verpuffte. Ich wusste es, ich spürte es ganz genau: Er wollte mich nicht. Fast konnte ich seine Panik riechen.
Und ich wollte ihn nicht. Nichts an ihm stimmte. Zu klein. Wie meine Gefühle für Luke auch immer aussahen, es ließ sich nicht leugnen, dass er einen tollen Körper hatte. Im Vergleich dazu mangelte es Chris in jeder Hinsicht. Und ich meine, in jeder .
Wir waren beide zu höflich, um den Vorgang mittendrin abzubrechen.
Es war, als hätte man reichhaltig gegessen und käme nun zu einer Freundin, die ein achtgängiges Menü für einen aufgetischt hatte, und man konnte nicht anders, man musste es essen, obwohl man bei jedem Bissen das Gefühl hatte, man würde sich gleich übergeben.
Kreuzunglücklich sah ich ihm zu, wie er sich das Kondom überstülpte. Wenn man nicht ganz außer sich vor Leidenschaft ist, scheint der Anblick eines erwachsenen Mannes, der seinen Piepmatz in Frischhaltefolie einwickelt, einfach nur absurd. Ohne rechte Begeisterung absolvierten wir das Vorspiel. An den Brustwarzen saugen und dergleichen, alles sehr halbherzig. Dann stieg er für das Hauptereignis auf mich drauf.
Es fühlte sich sehr, sehr verkehrt an, einen
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