Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Ich dachte, das klänge harmloser, als wenn ich gesagt hätte: »Ich habe bei Chris übernachtet, und wir haben versucht, miteinander zu schlafen, aber er bekam keine richtige Erektion zustande.«
»Ich habe bei Mrs. Hutchinson übernachtet, ich wollte ja nach Hause kommen, aber das Auto war gestohlen worden, und er musste die Versicherung anrufen und es bei der Polizei melden ...«
Ich sprach schnell in der Hoffnung, ihren auf mich gerichteten Zorn mit der Geschichte über das gestohlene Auto abzulenken.
»Philomena und Ted machen Urlaub auf Teneriffa«, zischte sie mich an. »Du warst mit ihm allein.«
»Das stimmt, Mum«, sagte ich frohgemut. Ich hatte keine Lust mehr auf all das. Schließlich war ich erwachsen.
Daraufhin rastete sie aus. Sie versuchte, mich zu schlagen, warf ihre Haarbürste nach mir, setzte sich, stand auf, fing an zu weinen, alles auf einmal.
»Du Flittchen«, kreischte sie. »Du hast kein Schamgefühl, und er ist verheiratet! Und was ist mit seinen drei Kindern? Die sind dir wahrscheinlich ganz egal!«
Der lähmende Schock musste sich auf meinem Gesicht abgezeichnet haben, weil sie weiterschrie: »Du wusstest das nicht mal, was? Was bist du nur für eine Idiotin? Ein nutzloses, egoistisches Biest, das immer alles falsch macht.« Ihr Gesicht war wutverzerrt, und ihr Atem ging stoßweise. Vor Entsetzen war mir eiskalt.
»Wahrscheinlich weißt du auch nicht, dass er beim ersten Mal aus Cloisters rausgeflogen ist, weil man ihn dabei erwischt hat, wie er mit einer verheirateten Frau in einem der Badezimmer Geschlechtsverkehr hatte. Und soll ich dir sagen, was mir wirklich die Galle zum Überlaufen bringt?«
»Nein«, sagte ich, aber sie sagte es mir trotzdem.
»Dass du mir mit deinen Drogensachen so übel mitgespielt hast, das war schon schlimm genug. Und jetzt so was! Du warst schon immer ein egoistisches Gör. Ich habe nicht vergessen, wie du damals Margarets Osterei gegessen hast. Wahrscheinlich tust du das alles absichtlich, um mich zu kränken ...«
Ich rannte aus dem Zimmer und die Treppe rauf, und sie schrie mir nach: »Egoistisches, selbstsüchtiges Gör. Meinetwegen kannst du einfach gehen, und du brauchst auch nicht wiederzukommen. Meinetwegen, pack deine Taschen und hau ab, das wäre für mich eine Erleichterung, wenn ich dich nie wieder sehen müsste. Mich so zu quälen ...«
Ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte Auseinandersetzungen immer schon gescheut und war erschrocken über die Heftigkeit des Zorns meiner Mutter. Ihre Verachtung mir gegenüber war furchtbar. Ich hatte immer schon vermutet, dass ich eine große Enttäuschung für sie war, aber es tat sehr weh, das so bestätigt zu bekommen.
Ganz abgesehen davon, was sie über Chris gesagt hatte. Er war verheiratet. Er hatte drei Kinder.
Ich musste immer wieder daran denken, dass er nicht erregt genug war, um einen Orgasmus zu bekommen. Dass er mich so zurückgewiesen hatte, tat weh, aber zusammen mit dem Zorn meiner Mutter war es zuviel.
Aber ich wusste genau, was ich tun würde.
Zuerst einmal würde ich mich umziehen. Dann würde ich mir Geld zusammenbetteln, stehlen oder borgen, mir einen Haufen Drogen kaufen und sie nehmen. Dann würde es mir bessergehen.
Ich stolperte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu, um Mums hysterisches Schreien nicht mehr zu hören. Die Vorhänge waren zugezogen, und in meinem Bett lag einer. Nein, zwei. Helen und Anna.
Warum konnte in diesem Haus nicht jeder in seinem eigenen Bett schlafen?, fragte ich mich erschöpft. Und warum lagen Helen und Anna zusammen in einem Bett? Angeblich hassten sie sich.
Sie schliefen beide tief und fest und lagen zusammengerollt wie zwei Kätzchen, ganz süß, die langen schwarzen Haare ringelten sich über das Kissen, und ihre Wimpern warfen Schatten auf ihre glatten Wangen.
Ich schaltete das Licht an, was zu sofortigem Protest führte. »Mann ...!«, sagte eine und setzte sich genervt auf. »Ich habe geschlafen!«
»Mach das Licht aus!«, sagte die andere.
»Nein«, sagte ich. »Das hier ist mein Zimmer, und ich muss was suchen.«
»Blöde Ziege«, murmelte Helen, beugte sich aus dem Bett und fing an, in ihrer Tasche zu wühlen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Anna. Sie klang überrascht.
»Bestens«, sagte ich knapp.
»Hier«, sagte Helen und reichte Anna eine Sonnenbrille. »Setz die auf, dann können wir weiterschlafen.«
Helen setzte sich auch eine Sonnenbrille auf, und so lagen sie im Bett und sahen aus wie die Blues
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