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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Brothers.
    »Also«, fing Helen an. »Hast du mit dem Kerl gevögelt?«
    »Ja«, sagte ich zitternd. Nach einer Pause: »Und nein.«
    Helen zog hinter der Sonnenbrille eine Augenbraue in die Höhe. »Ja und nein? Geblasen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich bereute, überhaupt etwas gesagt zu haben, denn eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen.
    »Darf ich dich daran erinnern«, erklärte Helen, »dass Analverkehr auch als Vögeln zählt?«
    »Danke, Helen.«
    »Also?«
    »Also was?«
    »War es Analverkehr?«
    »Nein.«
    »Magst du das nicht?«
    »Hab nichts dagegen.« Ich hatte es nie praktiziert, aber das wollte ich meiner viel jüngeren Schwester nicht auf die Nase binden. Ich hätte ihr davon erzählen sollen. Nicht andersherum.
    »Ich schwöre drauf«, murmelte sie.

65
    I ch räumte das Portemonnaie meiner Mutter aus, hundertdreißig Pfund insgesamt. Sie hatte wahrscheinlich gerade ihr Haushaltsgeld geholt. Dann blies ich den Staub von ihrer Kreditkarte und nahm die vorsichtshalber auch mit. Ich zögerte, ob ich Anna bestehlen sollte, aber zum Glück hatte sie nur acht Pence in ihrem kleinen Stoffgeldbeutel. Helen legte beim Schlafen ihr Portemonnaie immer unter das Kissen, es hatte also keinen Sinn, von ihr etwas holen zu wollen.
    Ich dachte nicht, dass ich etwas Schlimmes tat. Ich war von einem so starken Zwang getrieben, dass ich mich nicht bremsen konnte. Ich musste mir Valium und Koks besorgen. An etwas anderes konnte ich nicht denken. Die schrecklichen Worte meiner Mutter rissen mich entzwei, und den Schmerz auszuhalten, war für mich unvorstellbar.
    Die Zugfahrt in die Stadt verlief wie in Trance. Mein Blut war in Wallung, jede Faser meines Wesens lechzte nach chemischen Substanzen, und es gab keine Macht der Welt, die mich davon hätte abbringen können. Ich hatte keine Ahnung, wo ich Drogen bekommen könnte, aber es war klar, dass die Chancen in der Stadt besser stünden als in unserem verschlafenen Vorort Blackrock. Ich hatte gehört, dass Dublin ein Drogenproblem hatte. Ich war also voller Hoffnung.
    Als ich aus dem Zug stieg, wusste ich nicht genau, in welche Richtung ich mich wenden sollte. In Nachtclubs konnte man leicht Kokain bekommen, aber kaum einer würde um neun Uhr morgens geöffnet sein. Ein Pub schien da eher richtig. Aber welcher?
    Und warum waren sie alle geschlossen? Ich ging immer weiter, und meine Angst wuchs und füllte mich ganz aus.
    Es erinnerte mich an Situationen, als ich dringend zur Toilette musste und kein Lokal geöffnet hatte. Ich rannte durch die Straßen auf der Suche nach einer Bar oder einem Cafe. Meine Verzweiflung wuchs mit jedem Lokal, das mir seine geschlossene Vorderfront zuwandte. Wieder einmal machte ich die Erfahrung extremer Hilflosigkeit und Frustration, gekoppelt mit einem unerträglichen Bedürfnis.
    Zu meinem großen Horror war jeder Pub, an dem ich vorbeikam, geschlossen.
    Geh nach Hause.
    Halt die Klappe.
    »Wann machen die Pubs auf?« Ich trat einem Mann, der auf dem Weg zur Arbeit war, in den Weg.
    »Um halb elf«, antwortete er mir verdutzt.
    »Alle?«, krächzte ich.
    »Ja.« Er nickte und warf mir einen komischen Blick zu, unter dem ich mich normalerweise gewunden hätte.
    War Irland nicht angeblich das Land der Säufer?, dachte ich verwirrt. Welches Land der Säufer macht seine Pubs erst um halb elf auf? Wenn der Tag schon halb um ist?
    Warum hatte Dublin kein Rotlichtviertel? Warum lebte ich nicht in Holland?
    Ich schlug mich zu den kleineren Straßen durch und gelangte, eher zufällig als absichtlich, in eine Straße, die gelegentlich in den Nachrichten als Beispiel für Verelendung und Gewalt gezeigt wurde. In Dublin wurden jedes Jahr ungefähr zwei Menschen erschossen, normalerweise in dieser Straße. Zweifelhafte Geschichten kursierten über wohlsituierte, anständige Bürger, die sich in diese Gegend verirrten und in genau dieser Straße hundertvierundachtzigmal von einem Dealer angesprochen wurden.
    Volltreffer.
    Aber wenn man einen Dealer braucht, dann ist keiner da. Vielleicht war es zu früh für sie. Wenn ich bloß ein Empfehlungsschreiben von Wayne bei mir hätte!
    Ewigkeiten lungerte ich vor graffitiverschmierten Wohnhäusern herum. Auf jedem Giebel waren schiefe Bilder von Ampullen gemalt, die mit einem roten Kreuz durchgestrichen waren, und darunter war zu lesen: »Drogenhändler raus!« Ein sicheres Zeichen, dass ich in einer Gegend war, in der mit Drogen gehandelt wurde. Doch niemand kam auf mich zu, zwang mich zu Boden und

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