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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Zurückhaltung zur Perfektion gebracht.
    Sie setzte sich ans andere Ende des Tisches, so weit ab von den anderen wie möglich, und ignorierte uns. Ich betrachtete sie, bis mir vor Neid ganz schlecht wurde. Wie gerne würde ich vornehme Zurückhaltung üben, aber ich schaffte es nie. (Man tat sich nämlich keinen Gefallen, wenn man fragte: »Wie wirke ich? Bin ich überzeugend in meiner vornehmen Zurückhaltung?«)
    Ich hatte das Gefühl, dass die Männer um mich herum die Luft anhielten. Sie starrten gebannt auf Misty, die eine Zeitung nahm und anfing, das Kreuzworträtsel zu lösen.
    »Sie findet sich großartig«, höhnte Mike. »Bloß weil sie mit siebzehn ein Buch geschrieben hat.«
    »Sie hat ein Buch geschrieben?« Das interessierte mich wahnsinnig, aber ich versuchte, es nicht zu zeigen. Es war kein bisschen cool, interessiert und beeindruckt zu sein.
    »Du hast doch bestimmt schon von Misty gehört«, sagte Mike. Er klang ironisch, aber ich war mir nicht sicher.
    »Sie war eine echte Schnapsdrossel«, war sein erster Tipp.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Und letztes Jahr hat sie aufgehört und das Buch geschrieben.«
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    »Und dabei war sie erst siebzehn.« Diesmal war die Ironie deutlich.
    »Nein? Aber es stimmt. Und bevor man wusste, wie einem geschah, ist sie jedes Mal auf der Mattscheibe, wenn man den Fernseher anschaltet, und erzählt, wie sie den Alkohol aufgegeben und das Buch geschrieben hat, und das mit siebzehn.«
    Langsam kam mir Mistys Geschichte bekannt vor.
    »Und im nächsten Moment ist sie wieder auf Alk und kommt hierher, um noch einmal ›gerettet‹ zu werden.« Inzwischen war Mikes Ironie unüberhörbar. »Nur dass sie jetzt keine siebzehn mehr ist.«
    Ja, doch, ich hatte von ihr gehört. Natürlich. Die Zeitungen, die ich auf dem Flug von New York aus unerträglicher Langeweile gelesen hatte, waren voll mit Geschichten von ihrem Sündenfall. Mit der versteckten Andeutung, dass das alles nur ein Werbegag sei. Es sei doch sicherlich kein Zufall, dass gleichzeitig mit ihrem Rückfall ihr neues Buch und ihr Photo in jedem Buchgeschäft zu sehen waren?
    »Warum sie dachte, dass man sie überall bewundern würde, bloß weil sie vom Alk abgelassen hat, begreife ich nicht«, fuhr Mike fort. »Es ist so ähnlich wie mit Yassir Arafat und dem Friedensnobelpreis: Erst führt man sich auf wie der reinste Unmensch, dann lässt man es plötzlich bleiben und erwartet, dass alle einem sagen, wie toll man ist...«
    Misty hatte wohl gemerkt, dass wir über sie sprachen, denn plötzlich hob sie den Blick von der Zeitung, starrte voller Abscheu auf die Gruppe und machte mit zwei Fingern eine unmissverständliche Geste. Ich war zwischen haltloser Bewunderung und extremem Neid hin- und hergerissen.
    »Sie macht jeden Tag das Kreuzworträtsel in der Irish Times«, flüsterte Clarence. »Das unlösbare.«
    »Und sie isst nie was«, sagte Eamonn mit dem Mondgesicht und dem dazu passenden Gesäß.
    »Heißt sie Misty O’Malley?«, fragte ich mit unterdrückter Stimme.
    »Hast du von ihr gehört?«, fragte Mike. Fast klang er ängstlich.
    Ich nickte.
    Mike sah aus, als ob ihm die Tränen kommen würden. Aber er munterte sich selbst auf, indem er sagte: »Wahrscheinlich kann sowieso keiner was von dem verstehen, was sie geschrieben hat.«
    »Sie hat damit einen Preis gewonnen, oder?«
    »Genau das meine ich«, sagte Mike.
    »Lass uns mal was raten, Misty«, rief Clarence zu ihr hinüber.
    »Verpiss dich, Clarence, du fetter Banause«, sagte sie böse ohne aufzusehen.
    Clarence seufzte mit einem Gesichtsausdruck unverhohlener, hungernder Verehrung.
    »Ich hätte gedacht, einer Schriftstellerin würde eine bessere Beleidigung als ›fetter Banause‹ einfallen«, sagte Mike höhnisch.
    Sie sah auf und lächelte süßlich. »Oh, Mike«, säuselte sie und schüttelte den Kopf. Das Licht fing sich in ihrem Haar und verwandelte es in zarte Goldfäden. Sie sah so schön aus, so verletzlich, so anrührend. Ich hatte sie falsch eingeschätzt. Mike dachte offenbar das Gleiche. Er war so still, dass ich mich nicht zu rühren wagte, während ein langer, intensiver Blick zwischen den beiden hin- und herging.
    Aber Moment! Sie sagte etwas: »Warum lässt du dir nicht endlich mal eine Portion Bromid in den Tee geben, Mike? Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?« Sie lächelte ihm boshaft zu, und Mike erblasste. Mit spöttischer Miene nahm sie ihre Zeitung und stolzierte aus dem Zimmer. Aller

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