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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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gebissen hat ...«
    »Erzählen Sie uns das, woran Sie sich noch erinnern«, sagte sie fest. »Wie sah er aus?«
    »Ein großer, stattlicher Mann«, sagte er bedächtig. »So groß wie der Küchenschrank. Er konnte unter jedem Arm einen jungen Bullen tragen.«
    »Was ist Ihre erste Erinnerung an ihn?«
    John Joe überlegte lange und starrte in die Vergangenheit.
    Ich war überrascht, als er endlich anfing zu sprechen.
    »Ich war ein kleiner Knirps von drei oder vier Jahren«, sagte er. »Es war wohl im September, weil das Heu schon gemäht war, auf dem unteren Feld stand es aufgeschichtet in kleinen Haufen, und in der Luft lag der Geruch von geschnittenem Weizen. Ich tummelte mich auf dem gepflasterten Hof und jagte eins der Schweine mit einem Stock.«
    Erstaunt lauschte ich John Joes lyrischer Beschreibung. Wer hätte das von ihm gedacht?
    »Und so zum Spaß hatte ich die Idee, dem Schwein mit dem Stock eins überzuziehen. Und das habe ich dann getan, und eh ich mich’s versah, hatte ich es mausetot gehauen ...«
    Und wer hätte gedacht, dass dieser kleine, zierliche Mann ein Schwein erschlagen könnte?
    »PJ fing an, wie ein Weib zu jammern und rannte rein: ›Du hast das Schwein erschlagen, das sage ich Dada‹ ...«
    »Wer ist PJ?«, wollte Josephine wissen.
    »Der Bruder.«
    »Hatten Sie Angst?«
    »Kann schon sein. Ich wusste ja, dass es nicht ratsam war, Schweine zu erschlagen. Aber als Dada herauskam und sah, was passiert war, fing er an zu lachen und sagte: ›Menschenskinder, da braucht es doch einen ganzen Mann, um ein Schwein zu erschlagen!«
    »Ihr Vater war also nicht böse?«
    »Nein, er war überhaupt nicht böse. Er war stolz auf mich.«
    »Mochten Sie es, wenn Ihr Vater stolz auf Sie war?«
    »O ja. Das war ein mächtiges Gefühl.«
    John Joe lebte sichtbar auf.
    Zögernd fing ich an, Josephine zu bewundern. Sie wusste genau, wo bei den Einzelnen der Hund begraben lag. Auch wenn ich nicht wusste, wohin das mit John Joe und seinem Vater führen sollte.
    »Versuchen Sie, in einem Wort zu beschreiben, welches Gefühl Ihr Vater in Ihnen ausgelöst hat«, forderte sie ihn auf. »Es ist egal, welches. Glücklich, traurig, schwach, klug, stark, dumm – irgendeins. Lassen Sie sich Zeit.«
    John Joe dachte lange nach und atmete dabei durch den Mund, was sehr irritierend war.
    Endlich sprach er. »Geborgen«, sagte er bestimmt.
    »Sind Sie sicher?«
    Er nickte.
    Josephine schien zufrieden.
    »Über PJ haben Sie gesagt, dass er ›wie ein Weib jammerte‹«, fuhr sie fort. »Darin liegt eine despektierliche Haltung gegenüber Frauen. Ich meine, es klingt, als hätten Sie nicht viel Res...«
    »Ich weiß, was despektierlich bedeutet«, unterbrach John Joe sie. In seiner bedächtigen Stimme schwangen Stolz und Gereiztheit mit.
    Ich merkte, wie sich auch die anderen überrascht auf ihren Stühlen aufrichteten.
    »Haben Sie keinen Respekt vor Frauen?«, fragte sie.
    »Nein, allerdings!« Er überraschte uns alle mit dieser prompten Antwort. »Mit ihrem Klagen und ihrem Weinen, und immer muss man sie behüten.«
    »Hmmm.« Ein überlegenes Lächeln umspielte Josephines ungeschminkte Lippen. »Und wer behütet sie?«
    »Das tun die Männer.«
    »Und warum?«
    »Weil Männer stark sind. Männer müssen die anderen behüten.«
    »Da sind Sie aber in einer schwierigen Lage, nicht wahr, John Joe?«, fragte sie mit einem kleinen Leuchten in den Augen. »Denn obwohl Sie ein Mann sind und eigentlich behüten müssten, möchten Sie selbst behütet werden. Sie möchten sich geborgen fühlen.«
    Er nickte, blieb aber wachsam.
    »Aber eine Frau kann Sie nicht beschützen, das denken Sie doch. Es müsste ein Mann Sie beschützen, wenn Sie sich richtig geborgen fühlen wollten.«
    Einen Augenblick lang ließ sie alle möglichen Fragen in der Schwebe.
    Worauf will sie hinaus?, fragte ich mich. Sie kann doch wohl nicht. ..? Will sie damit sagen, dass ...? Dass John Joe ... ?
    »Schwul.«
    »Oder vielleicht sind Sie mit dem Wort ›homosexuell‹ vertrauter«, sagte sie forsch.
    John Joes Gesicht war aschfahl geworden. Doch während ich ihn mit bassem Erstaunen beobachtete, leugnete er nicht mit zorniger Vehemenz. (»Wie können Sie es wagen, das zu sagen? Bloß, weil Sie eine komische alte Schachtel von einer Nonne sind, die in ihrem Leben weder Haut noch Haare von einem männlichen Schwa...«) und so weiter, und so fort.
    Am ehesten noch wirkte John Joe resigniert.
    »Das wussten Sie über sich selbst, richtig?«. Josephine sah

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