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Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)

Titel: Rachel im Wunderland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ihn direkt an.
    Mein Erstaunen stieg, als John Joe schlaff mit den Schultern zuckte und sagte: »Na ja, kann schon sein. Was hätte es mir denn genützt?«
    »Du hättest Priester werden können«, hätte ich beinahe gesagt, »dann hättest du dir deine Jungen aussuchen können.«
    »Sie sind sechsundsechzig«, sagte Josephine. »Was für ein einsames Leben müssen Sie bisher geführt haben.«
    Er sah erschöpft und todunglücklich aus.
    »Es ist an der Zeit, dass Sie Ihr Leben ehrlich und aufrichtig anpacken«, fuhr sie fort.
    »Es ist zu spät dazu«, sagte er traurig.
    »Das ist es nicht«, sagte Josephine.
    Ich sah John Joe schon vor mir, wie er seinen abgewetzten Anzug gegen eine Levi’s 501 und ein weißes T-Shirt eintauschte und sich den Schädel kahlrasierte. Oder wie er, in Lederslippern und mit einem gezwirbelten Schnurrbart zu den Rhythmen von The Village People und The Communards tanzte, statt Kühe zu melken.
    »John Joe«, sagte Josephine in einem schulmeisterlichen Ton, »Sie müssen eins verstehen. Sie sind so krank wie Ihre Geheimnisse, und solange Sie mit dieser Lüge leben, werden Sie auch trinken. Und wenn Sie weitertrinken, werden Sie sterben, und zwar schon bald.«
    Das machte einem richtig Angst.
    »Es muss noch viel getan werden, John Joe, Sie müssen Ihr bisheriges Leben aufarbeiten, aber wir haben heute eine wichtige Hürde überwunden. Bleiben Sie an diesen Gefühlen dran. – Und was die Übrigen angeht: Ich weiß, dass Sie nicht alle latent homosexuell sind. Aber glauben Sie ja nicht, dass Sie, nur weil Sie es nicht sind, nicht trotzdem ein Alkohol- oder Suchtproblem haben.«

    Am selben Tag kam ein Neuankömmling hinzu. Ich hörte davon, als Chaquie nach dem Mittagessen in den Speisesaal stürzte und schrie: »Wir bekommen eine Neue! Ich habe sie gesehen, als ich beim Staubsaugen war.«
    Ich war nicht glücklich, als ich hörte, dass es eine Frau war. Ich hatte schon genug Konkurrenz von der blöden Misty O’Malley, wenn es um Chris’Aufmerksamkeit ging.
    Zum Glück war die Neue die möglicherweise dickste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Ich hatte Menschen mit enormer Leibesfülle im Fernsehen gesehen, aber ich hatte nicht geglaubt, dass es sie in Wirklichkeit gab. Sie saß im Speisesaal, als wir von der Gruppensitzung am Nachmittag zurückkamen. Dr. Billings stellte sie als Angela vor und verschwand wieder.
    Chris setzte sich neben mich.
    Mein Herz machte einen Satz, dann sagte er: »Rachel, geh doch mal zu Angela und sprich mit ihr.«
    »Ich?«, sagte ich. »Wieso ich?«
    »Warum nicht? Mach schon«, drängte er mich. »Wahrscheinlich ist es ihr im Moment lieber, wenn eine Frau auf sie zukommt. Jetzt geh doch. Denk daran, wie sehr du dich an deinem ersten Tag gefürchtet hast.«
    Ich wollte schon sagen: »Aber bei mir war es doch was anderes.« Doch da ich ihm gefallen wollte, setzte ich ein freundliches Lächeln auf und ging zu ihr. Mike kam auch dazu, und wir bemühten uns, ein Gespräch in Gang zu bekommen.
    Keiner von uns fragte sie, weswegen sie hier war, vermuteten aber, dass es mit Nahrung und dem übermäßigen Genuss derselben zu tun haben könnte.
    Sie sah verängstigt und unglücklich aus, und ich hörte mich sagen: »Ist nicht so schlimm, mein erster Tag war auch schrecklich, aber es wird besser.« Obwohl ich es nicht meinte.
    Don und Eddie schrien sich quer über den Tisch an, weil Don einen Tropfen Tee auf Eddies Zeitung verkleckert hatte. Eddie bestand jetzt darauf, dass Don ihm eine neue Zeitung kaufte, und Don weigerte sich. Ich wusste, wie harmlos der Streit war, aber Angela sah verschreckt zu. Mike und ich versuchten also, ihr die Angst zu nehmen.
    »Eddie ist sauer«, sagte ich lachend. »Keine Angst, die tun nur so. Eigentlich sind sie dicke Freunde.«
    In dem Moment, als ich das Wort »dick« sagte, sahen Angela und ich uns an, und der Moment wollte nicht aufhören. Wie ich mich hasste. Immer trat ich ins Fettnäpfchen. Immer.
    »Aber Don ist so ein Tyrann, da schadet es nichts, wenn er mal ordentlich sein Fett ... abkriegt.« Mike erstarrte, brachte aber den Satz zu Ende.
    »Schließlich geht es ja nur um eine Zeitung«, sagte ich und zwang mich dazu, fröhlich zu klingen. »Es ist ja nichts von Gewicht, keine große Sache.« Entsetzt hörte ich, dass die Wörter »Gewicht« und »groß« viel lauter als beabsichtigt klangen.
    Ich merkte, wie sich Schweißperlen auf meiner Oberlippe bildeten.
    War Angela zusammengezuckt?
    Dann kam Fergus, der

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