Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
Joey gar nicht störte, sondern dass er einfach nur einen Anlass gesucht hatte, um ihr wieder mal den Laufpass zu geben. Aber ich murmelte: »Arschgeige!«, damit sie wusste, dass ich auf ihrer Seite war.
»Dabei hat er auch andere Frauen gevögelt«, sagte sie bekümmert.
»Und Daryl, diese Drecksau, hat nicht angerufen«, sagte ich, weil ich unbedingt gleichziehen wollte. »Bitte, lieber Gott, wenn du ihn anrufen lässt, gebe ich mein ganzes Geld den Armen.«
Das sagte ich immer, denn da konnte mir nichts passieren. Ich gehörte zu den Armen, also konnte ich die paar Kröten, die mir gehörten, auch behalten und mein Abkommen mit Gott trotzdem einhalten.
Es wurde Abend, und immer noch beschäftigten wir uns mit unseren Kümmernissen. Wir nahmen den Hörer ab, um uns zu versichern, dass das Telefon funktionierte; wir riefen Ed an und baten ihn, bei uns anzurufen, damit wir sicher sein konnten, dass die Leitung in Ordnung war; ich nahm ein Kartenspiel und sagte: »Wenn ich abhebe, und es ist ein König, dann ruft er an.« (Es war eine Sieben.) Dann sagte ich: »Drei Versuche, wenn die nächste Karte ein König ist, ruft er an.« (Es war wieder eine Sieben.) Dann sagte ich: »Also gut, fünf Versuche, wenn...«
»HÖR AUF DAMIT!«, schrie Brigit.
»Entschuldigung.«
Dann hielt Brigit den Finger an die Lippen und sagte: »Schhh, hör mal.«
»Was ist denn?«, fragte ich aufgeregt.
»Hörst du es nicht?«
»Was denn?«
»Das Telefon klingelt nicht.« Darauflachte sie – ich war ganz überrascht –, als hätte sich eine dunkle Wolke plötzlich verzogen.
»Komm schon.« Sie grinste. »Ich halte das nicht länger aus, hier Wache zu schieben. Lass uns was machen.«
Die schreckliche Depression, die den ganzen Tag auf mir gelastet hatte, regte sich ein wenig.
»Au ja, lass uns ausgehen«, sagte ich. »Wir ziehen uns um.« Ich verbrachte die Abende höchst ungern zu Hause, weil ich immer dachte, ich könnte etwas verpassen. Das war das Phantastische an Koks: Es passierte immer etwas Aufregendes, wenn man es nahm. Entweder man lernte einen Mann kennen oder man ging zu einer Party – irgendwas. Mit Koks kam mein Leben in Gang. Und je mehr ich davon nahm, desto aufregender war das, was geschah.
»Du bist blank«, erinnerte Brigit mich.
Ich musste kleinlaut zugeben, dass sie recht hatte. Es sah nicht so aus, als würde ich es mir leisten können, Schnee zu kaufen. Ich überlegte kurz, ob ich Brigit bitten sollte, mir ein bisschen Geld zu leihen, entschied mich dann aber dagegen.
»Ich habe genug für einen Drink und für das Trinkgeld«, sagte ich.
»Wann willst du mir eigentlich das Geld zurückzahlen, das du mir schuldest?«
»Demnächst«, sagte ich mit Unbehagen. In letzter Zeit war Brigit ungewöhnlich knauserig.
»Das sagst du schon die ganze Zeit«, murmelte sie.
»Ach, bitte«, bettelte ich, »sei doch keine Spielverderberin, lass uns ausgehen. Ich habe keine Lust mehr, ›Lass uns so tun, als hätte ich gerade den Mann meines Lebens getroffen ‹ zu spielen.« Normalerweise, wenn Brigit und ich pleite waren, spannen wir für uns gegenseitig Phantasiege- schichten über den Mann unserer Träume. Nur selten wurden wir des Spiels überdrüssig. Und es ging so:
»Was habe ich an?«, fragte ich beispielsweise.
»Das Wickelkleid von Donna Karan, das wir neulich gesehen haben.«
»Welche Farbe? Schwarz?«
»Dunkelgrün.«
»Noch besser. Danke Brigit. Kann ich bitte richtig dünn sein?«
»Na klar. Ist vierundfünfzig Kilo in Ordnung?«
»Ein bisschen weniger.«
»Zweiundfünzig?«
»Danke«, würde ich wieder sagen. »Und wie bin ich so dünn geworden? Durch Fettabsaugen?«
»Nein«, würde sie dann sagen. »Du hattest schweren Durchfall, und der Speck ist einfach so abgefallen, du musstest gar nichts dazutun.«
»Und wie habe ich den Durchfall bekommen? So was kriegt man doch höchstens in den Tropen, oder? Das wird schließlich nicht überm Ladentisch gehandelt.«
»Nun gut, du hast da einen Mann kennengelernt, der gerade aus Indien kam, ... aber es ist doch völlig egal, wie du es bekommen hast. Es ist doch nur erfunden.«
»Na gut. Entschuldigung. Sehe ich denn zerbrechlich und geheimnisvoll aus, mit großen Augen?«
»Wie eine gut angezogene Gazelle.«
Um unser geschrumpftes Selbstwertgefühl aufzumöbeln, zogen wir unsere guten Kleider an. Brigit trug ihr Etuikleid von Joseph, das sie in einem Secondhandladen auf der Fifth Avenue erstanden hatte, wo die reichen Leute ihre Kleider
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