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Rachel

Rachel

Titel: Rachel
Autoren: Linda Lael Miller
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ihrem Empfangskomitee zu stellen. »Tun Sie das Ding weg, Ma'am«, sagte sie mit ihrer ganzen Autorität, »bevor noch jemand verletzt wird.«
    Offensichtlich hatte Mrs. Johnson - oder wer immer die Frau war - nie eine Schule besucht, denn der strenge Ton schien sie überhaupt nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil, sie balancierte das schwere Gewehr so leicht und geschickt in der Hand wie jeder erfahrene Mann, der es gewohnt war, mit so einer Waffe umzugehen. »Niemand außer Ihnen wird verletzt, Miss. Und jetzt nehmen Sie diese Jammergestalt von einem Gaul und verschwinden Sie von hier.«
    Rachel band Sunflowers Zügel an einem kräftigen Strauch fest, weit weg von der Stelle, wo die Flasche zersplittert war, und ging furchtlos ein paar Schritte vorwärts. »Bitte, dann schießen Sie eben, aber ich gehe erst wieder, wenn ich erledigt habe, wozu ich hergekommen bin.«
    Die beiden Frauen starrten einander an und Rachel hätte nicht sagen können, ob der Blickwechsel nur eine Sekunde oder ein paar Minuten gedauert hatte. Beide warteten vergeblich darauf, dass die andere nachgeben würde.
    »Und weshalb sind Sie hergekommen?«, fragte die alte Frau schließlich. Sie hatte schneeweißes Haar und ihre braunen Augen schienen in dem faltigen Gesicht zu versinken. Die Frau war von kleiner Gestalt und wog wahrscheinlich kaum mehr als eine nasse Stallkatze. »Spucken Sie es aus und verschwinden Sie dann.«
    Rachel räusperte sich und straffte die Schultern. Sie hatte im Laufe der Jahre schon eine Menge Hausbesuche gemacht, aber noch nie war sie mit einem Gewehrschuss empfangen worden. Deshalb achtete sie jetzt besonders auf ihre Worte. »Mein Name ist Rachel English und ich bin die neue Lehrerin. Ich würde gerne Christabel sprechen und wenn möglich ihren Vater oder ihre Mutter.«
    Die Alte spuckte verächtlich auf den Boden. »Ihren Pa haben sie vor fünf Jahren in Virginia City gehängt und nur Gott weiß, wo sich ihre Ma rumtreibt. Wahrscheinlich hat sie sich wieder mit so einem Tagedieb zusammengetan - falls sie überhaupt noch lebt.«
    Rachel achtete darauf, dass sie weder in ihrer Stimme noch in ihrem Gesichtsausdruck das Mitleid zeigte, das sie für das Mädchen empfand. »Dann sind Sie ...?«
    »Ihre Granny. Ich habe natürlich auch einen christlichen Namen wie jeder anständige Mensch, aber den brauchen Sie nicht zu kennen.«
    »Aber Sie kümmern sich um Christabel?«
    »Christabel kümmert sich um sich selbst. Und manchmal auch um mich, wenn mein Rheuma allzu schlimm wird. Jedenfalls hat sie keine Lust und keine Zeit, in die Schule zu gehen. So und jetzt nehmen Sie endlich Ihre Schindmähre und machen, dass Sie nach Hause kommen, wo immer das sein mag.«
    Inzwischen war Rachels Irritation einem verstärkten Interesse an der ganzen Angelegenheit gewichen, ein Interesse, das sie jedoch keinesfalls offen zeigen würde. »Ich möchte trotzdem gerne mit Christabel sprechen, wenn das möglich ist.«
    Wieder spuckte Granny Johnson, die so vertrocknet und zerbrechlich wie ein alter Grashüpfer aussah. Diesmal schien es jedoch der braune Saft von Tabak zu sein, den sie offenbar kaute. Sie spuckte in den Hof und brachte damit ein paar mickrige Hühner dazu, gackernd in alle Richtungen davon zu rennen. Wieder richtete sie das Gewehr auf Rachel. »Das ist nicht möglich. Und nun verschwinden Sie.«
    In diesem Moment öffnete sich quietschend die Tür der Hütte und ein Mädchen, das etwa in Emmas Alter war, humpelte auf die Schwelle und blinzelte ins Tageslicht. Sie war eine kleine, unscheinbare Person, ging in Lumpen und die Farbe ihrer verfilzten ungewaschenen Haare war undefinierbar. Selbst auf diese Entfernung stieg Rachel ein übler Geruch in die Nase, der aus der Hütte kam. Beinahe hätte sie einen Schritt rückwärts gemacht und sie hoffte nur, dass ihre Nase ihr jetzt keinen Streich spielen würde und sie niesen musste.
    »Bitte erschieß die Lehrerin nicht, Granny«, sagte Christabel. »Da bekommen wir nur Ärger mit dem Gesetz.«
    Wieder spuckte Granny. Rachel hatte noch nie einen Menschen gesehen, der in so kurzer Zeit so viel Speichel ansammeln konnte - aber vielleicht war das eine Frage des Willens. »Ich habe ihr gesagt, sie soll verschwinden, aber sie scheint taub zu sein und nicht gut zu hören. Sag du ihr, dass du nichts aus Büchern lernen willst, vielleicht werden wir sie dann endlich los.«
    Rachel verschränkte die Arme vor der Brust. »Stimmt es, was deine Großmutter sagt, Christabel? Willst du wirklich
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