Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachel

Rachel

Titel: Rachel
Autoren: Linda Lael Miller
Vom Netzwerk:
den anderen nicht weiter unterschied. »Der Unterricht beginnt am letzten Montag im August«, sagte sie. »Hast du einen Kalender?«
    »Ich brauche keinen«, erwiderte Christabel und zum ersten Mal huschte der Anflug eines Lächelns über ihr Gesicht. Dieses Lächeln veränderte auf ungeahnte Weise ihr ganzes Aussehen. »Granny und ich können an Hand der Zeichen immer genau sagen, welcher Tag gerade ist.« Als sie Rachels irritierten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie hinzu: »Die Zeichen eben, die Zahl der Ringe um den Mond, die Farbe des Mooses und solche Sachen halt. Das markieren wir dann auf einem Stück Papier.«
    Obwohl Rachel den intensiven Körpergeruch des Mädchens kaum noch ertragen konnte, hätte sie das Kind am liebsten in den Arm genommen. Sie hätte es wahrscheinlich auch getan, wenn sie nicht deutlich gespürt hätte, dass Christabel in ihrem Stolz äußerst verletzlich war. »Ich werde auf dich warten«, sagte sie. »Ein paar Tage bevor die Schule beginnt, kommst du zur Springwater-Station. Aber jetzt muss ich noch deine Maße nehmen, damit ich dir das Kleid nähen kann.« Es war ja nicht nötig zu erwähnen, dass sie selbst einige Zweifel hatte, was ihre Nähkünste betrafen.
    Zum Messen benutzten sie Bindfäden, die Granny mürrisch und widerwillig brachte. Für die Arm-und Beinlänge schnitt Rachel jeweils einen entsprechenden Faden ab, ebenso für Brust-und Taillenumfang. Dann verabschiedete sich Rachel schnell, denn sie spürte, das Grannys Geduld erschöpft war. Während Rachel auf ihr Pferd stieg, versprach Christabel ihr noch einmal, ganz bestimmt zum Unterricht zu kommen.
    Rachel wartete, bis sie außer Sicht-Und Hörweite der erbärmlichen Hütte war, in der die Johnsons hausten, und ließ dann ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte aus Verzweiflung und Hilflosigkeit, aus Mitleid und Mitgefühl.
    Sie hatte schon etwas mehr als die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt und konnte in der Feme bereits den Schornstein der Station sehen, aus dem eine dünne Rauchfahne in den blassblauen Himmel aufstieg, als Sunflower zu lahmen begann. Rachel saß ab, hob die linke Vorderhand der Stute und untersuchte den Huf. Tatsächlich war das weiche Fleisch in der Mitte des Hufs gerötet, aber Rachel konnte nicht erkennen, ob das Tier in eine Glasscherbe getreten war oder nicht.
    »Armer Liebling«, murmelte sie und tätschelte den Hals des Tieres. Zu Fuß ging sie in Richtung der Station, wobei sie Sunflower am Zügel hinter sich führte. Sie war sicher, dass Jacob die Wunde behandeln konnte, aber bis die Stute wieder normal laufen konnte, blieb ihr nichts übrig, als sich auf ihre eigenen Füße zu verlassen.
    Die Sonne ging unter, als Rachel die kleine Siedlung erreichte, und die Fenster der Kutschstation waren schon hell erleuchtet. Sie kam am Brimestone Saloon vorbei und sah, dass vor der Tür ein gutes Dutzend Pferde angebunden war. Aus dem Inneren der Bar waren laute Stimmen und Schreie zu hören. Da schien eine Schlägerei im Gange zu sein.
    Aus Sorge um Emma - das redete Rachel sich jedenfalls ein - ließ sie Sunflowers Zügel los und sprang die drei hölzernen Stufen hoch, die zum Eingang des Saloons führten, um über den Rand der Schwingtür in die Bar zu schauen.
    Trey saß in der Mitte des Raumes an einem kleinen Tisch. Er trug keinen Hut und er hatte die Ärmel seines weißen Hemdes - sein Spielerhemd, wie Rachel vermu tete - hochgeschlagen. In seinem Mundwinkel hing eine dünne Cheroot. Trey gegenüber saß ein anderer Mann, ein wahrer Koloss, der zweimal so breit wie Trey war. Die beiden Männer hatten die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Handflächen gegeneinander gelegt und jeder versuchte den Arm des anderen auf die Tischplatte zu drücken. Das war ein beliebter Männersport, wie Rachel wusste. Die Schreie und Anfeuerungsrufe kamen von den Zuschauern, die im Halbkreis um die Kämpfer standen, wodurch Rachel ungehinderte Sicht auf die ganze Szene hatte. Als sie den Blick hob, sah sie Emma, die auf der Treppe nach oben saß. Sie hatte das Kinn in die Handfläche gestützt und beobachtete das Geschehen durch die Geländerstäbe hindurch.
    Rachel wäre wahrscheinlich stillschweigend gegangen und hätte sich um ihre eigenen Sachen gekümmert, wenn sie nicht Emma gesehen hätte. Das Kind schien zwar überhaupt nicht verstört oder verängstigt zu sein und es schien auch nur mäßiges Interesse an dem Geschehen unten im Saloon zu haben, aber in Verbindung mit dem, was Rachel an diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher