Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
Cahane. »Auf dem Gipfel unseres Ruhms waren wir so was wie eine aufgeklärte Einrichtung.«
»Dieser Lehrer wurde ermordet, und die Polizei hat Grund zur Annahme, dass sein Tod mit seiner Arbeit in der Klinik zu tun hat.«
Stille.
»Dr. Cahane?«
»Das muss ich erst einmal verarbeiten, Dr. Delaware. Die Polizei hat also Grund zur Annahme, und doch werde ich nicht von der Polizei angerufen, sondern von Ihnen«, erwiderte er schließlich nachdenklich.
»Ich arbeite mit der Polizei zusammen.«
»In welcher Funktion?«
»Als Berater.«
»Soll heißen?«
»Manchmal hofft die Polizei, dass sie mit Psychologie weiterkommt. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit, um sich mit mir zu treffen?«
»Hm«, machte er. »Wenn ich also jetzt bei der Polizei anriefe, Alex, dann würde man mir dort bestätigen, dass Sie als psychologischer Berater für das LAPD tätig sind?«
Ich ratterte Milos Namen, Dienstgrad und private Telefonnummer herunter. »Er würde sich über Ihren Anruf freuen, Doktor. Er ist nämlich derjenige, der mich gebeten hat, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.«
»Wie das?«
»Sie waren stellvertretender Leiter des V-State zu der Zeit, als Marlin Quigg dort tätig war, und hatten Zugang zu Informationen.«
»Patienteninformationen?«
»Über besonders gefährliche Patienten.«
»Das wirft, wie Sie sicher wissen, allerlei Probleme auf.«
»Unser Fall«, sagte ich, »liegt so, dass Sie von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sind. Wir haben es hier nicht nur mit Gefahr im Verzug zu tun. Es ist bereits äußerste Brutalität angewandt worden, und es besteht die dringende Gefahr, dass das wieder geschieht.«
»Das klingt ziemlich dramatisch.«
»Ich habe die Leiche mit eigenen Augen gesehen, Dr. Cahane.«
Stille.
Er sagte: »Was genau suchen Sie?«
»Ein Kind, das von Quigg unterrichtet wurde und das ihm mit seinem Verhalten so eine Angst eingejagt hat, dass er es in die Spezialstation hat verlegen lassen.«
»Und diese Person soll ihn getötet haben?«, fragte Cahane. »So viele Jahre später?«
»Möglicherweise.«
»Sie spekulieren, aber Sie wissen es nicht.«
»Wenn ich es wüsste, müsste ich nicht mit Ihnen reden, Dr. Cahane.«
»Die Spezialstation«, sagte er. »Waren Sie im Verlauf Ihres Praktikums dort?«
»Gertrude fand, ich solle mich fernhalten.«
»Warum das?«
»Weil sie mich mochte. Das hat sie selbst gesagt.«
»Verstehe … nun, es sind permanent Entscheidungen zu treffen, und Gertrude hat in der Regel sehr vernünftig gehandelt. Aber die Spezialstation war alles andere als eine Hölle. Die Maßnahmen zur Überwachung der Patienten wurden stets mit Bedacht vorgenommen.«
»Hier geht es nicht um klinische Verhaltensregeln, Dr. Cahane. Es geht um einen besonders heimtückischen, bösartigen Mörder, der lange unterdrückte hasserfüllte Wahnvorstellungen auslebt.«
»Wie kommt die Polizei darauf, dass Mr. Quiggs Tod etwas mit einem Patienten aus V-State zu tun haben könnte?«
Weil ich sie drauf gebracht habe.
Ich sagte: »Eine komplexe Geschichte. Könnten wir uns persönlich sehen?«
»Sie versprechen sich eine ausführliche Gelegenheit, mich zu überzeugen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie noch viel Überzeugungsarbeit benötigen.«
»Warum?«
»Auf Mr. Quiggs Leichnam wurde etwas hinterlassen«, sagte ich. »Ein Stück Papier, auf das der Mörder ein Fragezeichen gemalt hatte.«
Ich hörte, wie Cahanes Atmung kurz und flach wurde.
Schließlich sagte er: »Ich fahre nicht mehr Auto. Sie werden zu mir kommen müssen.«
Die Adresse, die Milo mir gegeben hatte, gehörte zu einem Apartmenthaus wenige Kilometer östlich der Kanzlei von Cahanes Neffen in Encino, ein schlichter, zweistöckiger Kasten in Form einer Raute, der die Farbe von Himbeerjoghurt hatte. Darum herum wuchsen Yuccas und Palmen und so viele Agaven, dass man ein Jahr lang Margaritas davon hätte mixen können.
Ein paar Blocks weiter führte der Freeway vorbei, mit dem röhrenden Gähnen eines schlecht gelaunten Ungeheuers. Die Eingangstür war geschlossen, aber nicht verriegelt. Der Flur war frisch gestrichen und peinlich sauber.
Fünf Wohneinheiten oben, fünf unten. Cahanes Wohnung lag im Erdgeschoss auf der hinteren Seite. Auf dem Weg zu seiner Tür verklang das Grollen des Ungeheuers zu mürrischem Brummen. Ich klopfte.
»Ist offen.«
Cahane saß drei Meter entfernt mit Blick zur Tür in einem ramponierten Ledersessel. Sein Oberkörper war nach links geneigt. Sein Gesicht war noch schmaler als
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