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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Organisationstalent besitzt.«
    Der Beamte stand neben Pulaski. »Was ist nun?«
    »Eine Videosequenz noch, einverstanden? Dann machen wir Feierabend, mein Freund.« Pulaski wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern betätigte die Fernbedienung des Videorekorders.
    Eine weitere Gruppensitzung flackerte über den Bildschirm.
    »Die Aufnahme stammt vom Frühjahr dieses Jahres«, kommentierte Pulaski.
    Er musste nichts weiter erklären. Evelyn sah es auf den ersten Blick. Sybil trug die gleiche Kleidung wie Lisa, Jeans und einen beigefarbenen Strickpullover mit Zopfmuster. Die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt. Beide Frauen trugen ein Freundschaffsband am linken Handgelenk, und beide hatten die Beine auf die gleiche Art und Weise übereinandergeschlagen. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Da sagte Sybil etwas. Nur ein paar Wörter mit einem harten, norddeutschen Akzent - und Evelyn hatte das Gefühl, diese Stimme schon einmal gehört zu haben.
    »Spulen Sie das zurück!«, drängte sie. »Ich glaube, ich kenne …«
    Plötzlich zuckte ein Blitz über den Monitor. Im nächsten Moment war die Mattscheibe schwarz. Der Videorekorder klickte, und das Surren der Kassette erstarb.
    Der Hamburger Beamte stand mit dem Kabel in der Hand neben der Steckdose. »So, Sigmund Freud. Die Show ist vorbei.«
    »He, verflucht…« Zu mehr kam Pulaski nicht.
    In diesem Moment ging die Tür auf. Doktor Gessler betrat in Begleitung von zwei Pflegern den Therapieraum.
    »Ihre Zeit ist um. Darf ich bitten.« Sie deutete zur Tür.
    Evelyn spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Diese Leute dachten nur in sturen Zeitplänen.
    »Ich möchte noch eine einzige Sache erledigen …«, sagte Pulaski.
    »Das glaube ich Ihnen gern«, unterbrach die Ärztin ihn. »Und zwar möchten Sie sich schleunigst in die Cafeteria begeben, um dort den Rest Ihrer Rechnung zu begleichen. Sie haben nämlich zu wenig bezahlt!« Sie warf ihm einen zornigen Blick zu.
    »Diese Pfennigfuchser«, murmelte Pulaski und starrte sie an, als könnte er nicht fassen, was sie soeben gesagt hatte.
    »Natürlich übernehme ich den offenen Betrag«, intervenierte Evelyn. »Kein Problem - Sie haben uns Ihre Prioritäten ja eindeutig klargemacht.«
    Doktor Gessler überhörte Evelyns spitzen Ton. »Sehr fein, dann wäre diese Sache erledigt.« Sie wandte sich wieder an Pulaski. »Sie haben mir heute Morgen wegen des Personenschutzes die halbe Anstalt auf den Kopf gestellt, sodass ich froh bin, Sie und die anderen Polizisten endlich loszuwerden.«
    »Ich würde noch gern mit einer bestimmten Patientin reden.«
    »Natürlich. Sonst noch was?« Die Ärztin lachte auf. »Ich reiche Ihnen den kleinen Finger, und Sie …?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ich habe in der Zwischenzeit mit Ihrem Vorgesetzten in Leipzig telefoniert. Erstens haben Sie mir verschwiegen, dass Sie seit gestern im Urlaub sind, und zweitens kennt man auf Ihrem Revier keine Kollegin namens Evelyn Meyers. Was würde die Presse wohl zu diesem Vorfall sagen?«
    Evelyn hielt den Atem an. Nun flog alles auf. Als Juristin wusste sie, was ihr Vorgehen für Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Zumal sie sich selbst im Urlaub befand und offiziell nicht an einem Fall arbeitete.
    Doch Pulaski überging die Vorwürfe. »Ich würde gern einige Worte mit Sybil wechseln.«
    »Sybil?« Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Ich habe Ihre Anwesenheit lange genug erduldet. Diese beiden Herren begleiten Sie raus. Auf Wiedersehen.«
    Pulaski hängte sich die Krawatte um den Hals und schnappte sich Sakko und Mantel. Ohne sich zu verabschieden, folgte er den Pflegern im weißen Kittel. Bestimmt kochte er innerlich vor Wut. Zumindest fühlte sich Evelyn so, und ihm erging es sicherlich ähnlich. Im Moment hatte sie den Eindruck, als kämpfte sie mit Pulaski gegen die Windmühlen der Bürokratie. Plötzlich musste sie schmunzeln.
    »Warum lachen Sie?«, knurrte Pulaski, während er die Treppe zum Ausgang hinunterstapfte.
    »Ich musste eben an Don Quijote denken.«
    »An wen? Meinen Sie diesen alten Dürren aus …?« Er dachte eine Weile nach. »Ihren Humor möchte ich haben.«
    »Ich könnte es Ihnen nicht verübeln, falls Sie Ihren im Lauf der Jahre verloren haben.«
    Er nickte. »Diese Woche ist schlimmer als sonst. Sehen Sie, seit vier Tagen habe ich mit Ärzten und Psychiatern zu tun. Dagegen sind die Bürokraten des Innenministeriums die reinsten Hippies.«
    »Das klingt nicht gerade

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