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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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begeistert.«
    »Nicht gerade beigeistert?«, wiederholte er. »Ich könnte kotzen, wenn ich diese Scheiße mit der ärztlichen Schweigepflicht noch einmal höre.«
    Evelyn schielte zu den Pflegern, die vor ihnen gingen. Offenkundig war es Pulaski egal, was sie von ihm hielten.
    Als sie vor dem Gebäude standen, deutete einer der Pfleger zum Ausgang. »Die Cafeteria liegt dort drüben.«
    »Danke, weiß ich!«, zischte Pulaski.
    Der Mann verschwand grußlos.
    Pulaski zündete sich eine Zigarette an. Der zweite Pfleger, ein junger, magersüchtiger Kerl mit reichlich Pickeln im Gesicht, der eher wie ein Student wirkte, blieb stehen und steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. Schon allein beim Anblick, wie er den Glimmstängel zum Feuerzeug hielt, wurde Evelyn klar, dass er nicht oft rauchte. Dabei blickte er sich um, als wollte er sehen, ob ihnen jemand zum Ausgang gefolgt war.
    Plötzlich wandte er sich an Pulaski. »Sie wollen mit Sybil reden?«
    »Kennen Sie die Kleine?«
    Er sah sich um, dann senkte er die Stimme. »Ich hatte öfter mit ihr zu tun.«
    Pulaski grinste. »Sie können normal reden, wir sind hier nicht auf dem Schwarzmarkt.« Er hustete, worauf er die Zigarette im großen Steinaschenbecher neben dem Eingang ausdrückte. »Ist Ihnen aufgefallen, dass sich Sybil im Lauf der Jahre immer mehr mit Lisa identifizierte?«
    »Eine interessante Beobachtung«, bemerkte der Junge immer noch mit leiser Stimme. »Eine der besten Bewältigungsstrategien für die eigene Psychohygiene ist die enge Bindung an die Familie oder an eine Freundin. Nun, Familien gibt es hier keine. Aber mir fiel auf, dass Sybil vor allem Lisas Aggressionspotenzial übernahm.«
    »Wer zum Teufel sind Sie? CG. Jung?«
    »Marty, ein Zivildienstleistender.« Für einen Augenblick sah er beschämt zu Boden.
    »Tut mir leid«, murrte Pulaski.
    »Schon gut, ich bin es gewöhnt, veräppelt zu werden.« Der Junge nahm einen neuerlichen Zug, worauf er sich die Seele aus dem Leib hustete.
    »Marty, Sie sollten mit dem Zeug aufhören«, schlug Pulaski vor.
    »Sie rauchen doch auch!«
    »Ich hab’s mir gerade abgewöhnt.« Pulaski fuhr sich übers Kinn, als wüsste er nicht, ob er aus dem Jungen schlau werden sollte.
    Auf Evelyn wirkte er jedenfalls vertrauenswürdig. »Wie gut kennen Sie Sybil?«, schaltete sie sich in das Gespräch ein.
    »Sie faszinierte mich.« Der Junge lächelte. »Sie hatte ein enormes Gedächtnis und eine ausgeprägte Kreativität. Beides Voraussetzungen für ein Überleben in Extremsituationen.«
    Der Junge sprach, als würde er ihre Akte auswendig kennen. Doch noch mehr verstörte Evelyn, dass er über Sybil in der Vergangenheitsform sprach.
    »Wo finden wir sie?«, fragte Evelyn.
    »Hier gar nicht mehr.« Der Junge zerdrückte lächelnd die Zigarette im Aschenbecher. »Sie ist vor vier Monaten in ein betreutes Wohnheim nach Kiel gezogen.«
     
    58
     
    Kurz nach halb zwei saß Evelyn bei einem späten Mittagessen in der Cafeteria und übernahm auch gleich die offene Rechnung vom Vormittag.
    Während sie ein Omelett mit einem Toastbrot aß und einen starken Kaffee dazu trank, telefonierte Pulaski vor der Cafeteria. Er hatte sich ihr Handy geliehen, da sein Akku leer war. Das Gespräch dauerte schon ziemlich lange, und durchs Fenster sah sie, wie er mit bitterer Miene auf und ab marschierte. Schließlich kam er in das Kaffeehaus und setzte sich zu ihr an den Tisch. Seine Krawatte hing immer noch offen um den Hals.
    »Ich habe vor einigen Tagen eine Psychotherapeutin kennengelernt, die in Markkleeberg arbeitet«, erklärte er. »Sie war Nataschas Betreuerin und ist wie ich daran interessiert, dass der Mörder der Jugendlichen gefasst wird. Ich habe soeben mit ihr telefoniert. Sie hilft mir bei den Ermittlungen.«
    »Wie heißt sie?«
    Er blickte kurz aus dem Fenster. »Sonja Willhalm … Sie ist die Exfrau des Staatsanwalts, dem dieser Fall zugeteilt wurde.«
    Evelyn wurde hellhörig. Allein die Art, wie er ihren Namen betonte und wie abschätzig er über ihren Exmann sprach, ließ tief blicken. »Es klingt, als wären Sie …?« Im nächsten Moment fiel ihr Blick auf seinen Ehering, und ihr wurde heiß. »Tut mir leid.«
    »Schon gut. Es ist nicht so, wie Sie denken. Ich bin Witwer.«
    »Tut mir leid«, wiederholte sie.
    »Nicht nötig, ist schon lange her.« Gedankenverloren drehte er den Ring am Finger. »Sind Sie verheiratet?« Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber es gibt einen Mann in Ihrem Leben?«, vermutete

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