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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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weniger kam sie dahinter - als läge ihr die Antwort auf der Zunge, schien aber gleichzeitig so weit entfernt, dass sie die Lösung nicht greifen konnte.
    Zudem saß ihr Krager im Nacken. Er wollte ihr einen neuen Fall übertragen. Meistens ging es darum, die kleinen Konkurrenzfirmen seiner Klienten fertigzumachen. Andererseits gab es aber auch Geschichten wie den Fall, den er kürzlich erwähnt hatte, bei dem ein Politiker während der Autofahrt von einem Kofferradio erschlagen wurde, weil der Airbag aufgegangen war. Zum Glück hatte nicht sie, sondern Kragers Partner Holobeck den Fall übernommen, da die Verhandlung zu einem Fiasko geworden war, weil…
    Evelyn hielt inne. Sie schob das Glas und die Sektflasche zur Seite und starrte erneut auf das Foto. Das Mädchen mit den dünnen Haaren und dem blauen Spaghettiträgerkleid! »Jetzt weiß ich, woher ich dich kenne«, flüsterte sie.
    Holobecks Airbag-Fall! Sie zog ihren Timer aus der Handtasche und blätterte einige Wochen zurück. Anfang August hatte sie mit Peter Holobeck im Andante zu Mittag gegessen, einem italienischen Spezialitätenrestaurant in der Wiener Innenstadt. Sie aßen die Tagesspezialität im Gastgarten, einen Meeresfrüchtesalat mit Riesengarnelen, und deklarierten die Rechnung anschließend als Geschäftsessen - was es auch gewesen war.
    Holobeck war Kragers Jahrgang, wenn nicht sogar älter. Doch selbst wenn er dreißig Jahre jünger gewesen wäre, bestünde keine Gefahr. Holobeck war homosexuell, das wusste sie, obwohl gerade er die meisten Schwulenwitze erzählte. Scheinbar war Angriff immer noch die beste Verteidigung.
    Evelyn überflog die Notizen, die sie während des Essens in ihren Timer gekritzelt hatte. Holobeck hatte einen seiner Fälle vertraulich mit ihr besprechen wollen. Soweit sie sich erinnerte, ging es dabei um den Münchner Stadtrat Heinz Prange, der mit seinem Wagen viel zu schnell auf einer Gebirgsstraße durch die Berchtesgadener Alpen gerast war. Als der Wagen über eine Bodenwelle holperte, knallte das Radio, das aus unerklärlichen Gründen auf der Armaturenablage gestanden hatte, auf das Lenkrad, worauf sich angeblich der Airbag öffnete und dem Fahrer das Radio ins Gesicht schleuderte. Zumindest hatte es Holobeck dem Gericht so dargestellt. Stadtrat Prange war auf der Stelle tot gewesen, und seine Witwe wollte die Herstellerfirma des Airbags verklagen. Da sich der Unternehmensstandort der Austrobag GmbH in Graz befand, engagierte die deutsche Witwe Krager, Holobeck & Partner. Warum Holobeck erstmalig von den Kanzleiprinzipien abgewichen war und eine Privatperson als Klientin gegen ein Unternehmen vertrat, wusste niemand so genau. Die Chancen, den Fall zu gewinnen, standen nicht schlecht, doch letztlich ging die Sache anders aus als erwartet: Der Grazer Anwalt der Herstellerfirma, ein Hai im Nadelstreif, konnte vor Gericht beweisen, dass der Airbag zu Recht aufgegangen war, weil Prange mit dem Wagen einen Felsen gerammt hatte. Kein Fremdverschulden! Drei Gutachter bestätigten diese Behauptung, und Holobeck konnte kein Gegengutachten auftreiben. Peng, die Akte wurde geschlossen, und Holobeck verlor den Fall.
    Gedankenverloren starrte Evelyn auf ihre leere Kaffeetasse neben dem Computermonitor. Die beiden Comicfiguren Tweety und Sylvester grinsten zurück. Mach sie platt, stand im Cartoon - Schriftzug auf der Tasse. Sonst machen sie dich platt!, ergänzte Evelyn in Gedanken. Sie musste sich auf das Treffen im Lokal konzentrieren. Als die meisten Besucher gegangen waren, hatte Holobeck sämtliche Unterlagen des Falls auf dem Tisch ausgebreitet und die Papiere mit Aschenbechern beschwert, damit sie nicht davonflogen. Ein Protokoll war am interessantesten gewesen: Zeugen wollten gesehen haben, wie Stadtrat Prange mit einer jungen Dame in einem Cafe in Bad Reichenhall gesessen hatte und anschließend mit ihr in seinem Wagen weggefahren war. Doch trotz detaillierter Personenbeschreibung war die Frau nicht gefunden worden. Möglicherweise hätte sie dem Fall eine Wendung geben oder zumindest aufklären können, woher das batteriebetriebene Kofferradio stammte, das Prange die Stirn zertrümmert hatte. Irgendwo in Holobecks Unterlagen befand sich eine Personenbeschreibung dieser jungen Dame. Und an die musste sie rankommen!
    Wieder starrte Evelyn auf das Foto von dem Mädchen. Die dünnen Haare und die Spaghettiträger … War sie schon verrückt? Litt sie an Wahnvorstellungen?
    Schließlich griff sie zum Telefon und wählte

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