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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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arbeiten, wollte er die ersten konkreten Spuren und Zusammenhänge finden, bevor Fux erneut anrief. Und das konnte bald sein.
    Pack deine Sachen zusammen und komm aufs Revier. Ich hatte soeben ein Telefonat mit dem Polizeipräsidenten. Der Fall ist abgeschlossen.
    Pulaski spürte, dass in dieser Anstalt etwas im Argen lag. Er brauchte nur dem bärtigen, zynischen Ärztlichen Direktor Dr. Wolf in die Augen zu sehen, um zu wissen, dass er ihm etwas verheimlichte.
     
    Als es an der Tür klopfte, zerdrückte Pulaski gerade eine weitere Zigarette im Aschenbecher.
    Hanna zuckte für einen Moment vor der Rauchwolke zurück, dann betrat sie mit zwei dicken Mappen im Arm das Besprechungszimmer, das er kurzerhand in ein Ermittlungsbüro umfunktioniert hatte.
    »Sie sollten weniger rauchen.«
    »Danke, weiß ich. Rauchen und Asthma vertragen sich wie Feuer und Benzin - sagt zumindest meine Tochter.« Pulaski lächelte. Andere Kollegen soffen sich ihren Frust und die Belastung des Jobs von der Seele und waren schon zu Mittag hackedicht. Wenigstens ernährte er sich vegetarisch, trieb regelmäßig Sport und rührte keinen Alkohol an. Das hatte er seiner Tochter versprochen, und daran hielt er sich. Als Alleinerziehender musste man Kompromisse eingehen. Seine einzigen Laster blieben Zigaretten und literweise schwarzer Kaffee - seine Art, mit der Belastung des Berufs und der privaten Situation fertig zu werden. »Was haben Sie für mich?«
    Hanna legte die Mappen auf den Tisch. »Eine Namensliste aller Angestellten und Patienten mit den zugehörigen Stammdatenblättern.«
    »Das ging ja schnell. Ich habe nicht einmal sechs Stunden darauf gewartet«, erwiderte Pulaski. »Sind die Krankenakten dabei?«
    »Die rückt Direktor Wolf nicht raus.«
    Ärztliche Schweigepflicht! Pulaski musste Druck beim Staatsanwalt machen. Er brauchte die Krankenakten, insbesondere die von Natascha Sommer.
    »Von wie vielen Personen reden wir?«, fragte Pulaski.
    »Zwanzig Ärzte, vierzehn Therapeuten, zwanzig Pfleger und Krankenschwestern, fünf Sozialarbeiter, siebzig Patienten und ungefähr zehn Leute vom Hauspersonal.«
    Brav auswendig gelernt! Pulaski öffnete die erste Mappe und schob die Blätter wie einen Satz Spielkarten auf dem Tisch auseinander. 140 Personen also. Fux hätte von 140 Zeugen gesprochen.
    Pulaski sah das anders.
    Für ihn waren es 140 Verdächtige.
    Die Durchsicht der Dossiers hatte nichts gebracht. Die meisten Leute vom Hauspersonal - Pförtner, Köchinnen, Gärtner, Hauselektriker, Putzfrauen - lebten in der Nähe der Anstalt, in Dölitz, Knauthain oder Großdeuben, und waren seit mindestens zehn Jahren in der »Steinernen Glocke« beschäftigt. Mit den Fachärzten und Therapeuten verhielt es sich ähnlich. Die meisten besaßen bereits eine Inventarnummer. Bei den Pflegern und Krankenschwestern herrschte hingegen ein ständiges Kommen und Gehen. Scheinbar war es in der Branche üblich, dass man nach ein bis zwei Jahren in eine andere Anstalt wechselte, weil man ausgebrannt war.
    Der Ärztliche Direktor nahm eine Sonderstellung ein. Soweit Pulaski das zurückverfolgen konnte, kam nach jeder Landtagswahl ein neuer Direktor. Die Vergabe dieses Postens war also ein reines Politikum, und Pulaski wollte gar nicht darüber nachdenken, sonst wäre ihm die Galle hochgekommen.
    Nachdem er die Mappe geschlossen hatte, widmete er sich den Stammdatenblättern der Patienten, die nicht wesenüich aufschlussreicher waren. Er überflog Alter, Namen, Geburtsorte und Krankheitsbilder der siebzig Patienten und betrachtete die zugehörigen Fotos. Die meisten Kranken waren unter fünfundzwanzig und weiblich. Alle trugen die cremefarbene Anstaltskleidung mit den blauen Punkten - die Mädchen Kleider, die Jungs Hosen und Hemden. Weder Jeans, Pullis, Sweatshirts oder Jogginganzüge von der Caritas oder dem Roten Kreuz. Kein Platz für Individualität.
    Wie es schien, war die »Steinerne Glocke« eine Spezialklinik für Missbrauchsopfer mit multipler Persönlichkeitsstörung. Fast nur Langzeittherapie-Patienten. Kaum jemand war kürzer als fünf Jahre in der Anstalt. Trotz der Sonnenstrahlen lief Pulaski ein Schauer über den Rücken. Er dachte wieder an Nataschas letzte Zeilen.
    Die Wände kommen näher. Ich halte es in diesem Zimmer nicht mehr aus. Immer wieder sind es andere, die nachts zu mir kommen. Die Abstände werden kürzer. Immer wieder kommen sie. In der Dunkelheit. Diese Schmerzen!
    Die Rückseite des Zettels klang aufschlussreicher.
    Ich

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