Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
verschwindend gering. Trotzdem war es passiert.
    Goteinik und er hatten fast zur gleichen Zeit ihre Ehepartner verloren. Doch das hatte sie nicht zusammengeschweißt - im Gegenteil. Goteinik hatte zu trinken begonnen, und höchstwahrscheinlich hätte Pulaski ein ähnliches Schicksal gedroht, wäre nicht seine damals erst sieben Jahre alte Tochter gewesen. Plötzlich war er alleinerziehend und musste nach seinem Job beim Landeskriminalamt im Supermarkt einkaufen, zu Hause kochen, Wäsche bügeln, staubsaugen, Fenster putzen und mit Jasmin Hausaufgaben machen. Und Karin fehlte ihm so sehr! Nach einem halben Jahr war er nervlich ein Wrack. Er verschwand aus Dresden, wollte alle Erinnerungen auslöschen, nahm sich eine Mietwohnung in Leipzig, wo er aufgewachsen war, und ließ sich wegen der regelmäßigen Arbeitszeit zum Dauerdienst versetzen. Vom Landeskriminalamt Dresden zur Polizei Leipzig degradiert. Er kannte niemanden, der sich das in seinem Alter freiwillig antat. Aber seine Tochter hatte nun mal Vorrang. Das war er Karin und sich schuldig.
    »… die Unterlagen!«
    Winteregger tippte ihm an die Schulter.
    Pulaski zuckte zusammen. Er war schon wieder weg gewesen … Er brauchte dringend Schlaf. »Welche Unterlagen?«
    »Mann.« Winteregger verdrehte die Augen. »Ich möchte die Videobänder, Zeugeneinvernahmen, Stammdatenblätter und den vorläufigen Autopsiebericht in einer Stunde auf meinem Schreibtisch sehen. Und halten Sie sich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zur Verfügung. Vielleicht habe ich noch ein paar Fragen.«
    Bestimmt, dachte Pulaski. Du hast nämlich keine Ahnung von dem Fall. Er zertrat die Zigarette auf dem Boden. »Finden Sie heraus, woher die Flasche Gin stammt.«
    Winteregger verzog das Gesicht. »Sonst noch Ratschläge?«
    »Ja. Das Verhör des Personals können Sie sich sparen. Der Mörder kommt nicht aus der Anstalt, sondern von außen.«
    »Haben Sie vielleicht auch seinen Namen, die Adresse und seine Handynummer?«
    Was für ein Zyniker! Pulaski ging nicht darauf ein. »Der Abschiedsbrief stammt zwar von Natascha, aber der Mörder hat sie dazu gezwungen, ihn zu schreiben.«
    Sonja Willhalm sah Pulaski mit großen Augen an. Das war sogar für sie neu.
    »Er ist eine falsche Spur«, erklärte Pulaski.
    »Und welches ist die richtige Spur?«
    Wieder dieser zynische Ton. Hatte es überhaupt einen Sinn weiterzureden?
    »Natascha und Martin haben eine gemeinsame Vergangenheit«, versuchte Pulaski es erneut. »Suchen Sie in Bremerhaven. Dort werden Sie Antworten finden.«
    Winteregger lächelte milde. »Ja, natürlich. Sie haben den Fall mit Ihren Methoden natürlich längst gelöst.«
    Es war zwecklos! Da hatte das LKA die beiden richtigen Ermittler für diesen Fall in ein Team gespannt: einen verbitterten Alkoholiker, der den Tag mit einer Flasche Schnaps begann, und einen junger Pupser, der frisch von der Hochschule in Rothenburg kam und sich beim Anblick einer Wasserleiche erst einmal übergeben würde. Pulaski wusste schon jetzt, dass die Ermittlungen im Sand verlaufen würden, und bei der Landtagswahl krähte kein Hahn mehr danach.
    »Jedenfalls danke für die erleuchtenden Worte.« Winteregger wandte sich an die beiden Totengräber. »Schaffen Sie den Sarg zum Hinterausgang. Dort steht ein Wagen, der die Leiche in die Gerichtsmedizin bringt.«
    Pulaski verließ den Friedhof, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er hatte eine Stunde Zeit, die Unterlagen des Falls abzugeben. Ab jetzt würden sich Stan und Laurel um die Ermittlungen kümmern.
    Sonja Willhalm folgte ihm zum Wagen. »Natascha wurde gezwungen, diese Zeilen zu schreiben?«
    »Davon können Sie ausgehen«, antwortete Pulaski. »Was uns verrät, dass der Mörder mit ihrer Vergangenheit bestens vertraut ist… Sie entschuldigen mich bitte.«
    Pulaski griff zum Handy und wählte Maltes Nummer, der nach dem zweiten Klingeln abhob.
    »Hör zu!«, unterbrach Pulaski den Redeschwall seines Kollegen. »Bevor du den Jungs vom LKA die Schachtel mit den Unterlagen gibst, kopierst du alle Patientendossiers.«
    »Du hast sie wohl nicht alle! Das sind siebzig Akten!«, stöhnte Malte.
    »Mach es!«
    »Warum, zum Teufel?«
    »Ich habe nicht vor, den Fall abzugeben.«
     
    25
     
    Elf Uhr vormittags. Endlich läutete Evelyn Meyers’ Telefon. Ein interner Anruf. Das Display zeigte die Nummer von Kragers Sekretärin. Nun war es so weit. Evelyns Herz schlug bis zum Hals, als sie abhob.
    »Der Chef ist fertig, Sie können kommen.«
    Mehr

Weitere Kostenlose Bücher