Rachesommer
schlugen hoch, und der Wind fegte den Regen über die Dünen. Als der Donner unmittelbar darauf über das Meer krachte, flackerten die Teelichter, die auf der Küchenzeile standen.
»Hatte mir angewöhnt, eine Flasche Wein zu trinken, wenn ich abends mit dem Hund rausging«, setzte Smolle seine Erzählung fort. »Später hatte ich mittags eine Pulle dabei, und schließlich schon morgens, wenn ich mit der Töle an den Strand ging. Irgendwann trank ich, wenn ich im Wohnwagen hockte. Der Köter lief eines Tages davon, aber der Wein blieb. Und der Schnaps auch.«
Manchmal nuschelte Smolle oder verschluckte einige Wörter, aber Evelyn konnte sich das Fehlende zusammenreimen.
»Zuerst war der Führerschein weg. Dann der Wagen. Jetzt auch das Geld. Bekomme nicht mal einen Gelegenheitsjob als Lagerarbeiter am Hafen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Will nicht mehr. Verstehen Sie das?«
Sie nickte.
»Ich glaube nicht.« Smolle kippte Rum in die leere Tasse und trank sie in einem Zug aus.
»Was ist während Ihrer letzten Fahrt passiert?«, fragte sie.
Er lachte bitter. »Sind Sie deswegen hier? Natürlich sind Sie das.« Er blickte zur Decke. »Wenn Er gewollt hätte, dass Sie es nicht erfahren, wären Sie eine Minute später gekommen. Ich hätte das Geheimnis mitgenommen.«
»Was ist auf der Friedberg passiert?«
Er zuckte zusammen, als er den Namen hörte. Unwillkürlich blickte er auf seinen verbrannten Unterarm, als kehrten von dort die bösen Erinnerungen zurück, die er vergeblich versucht hatte auszulöschen.
»Dieser Name. Der ganze Alkohol hat nicht gereicht, um alles zu vergessen. Habe mich um den Verstand gesoffen - trotzdem ist das Grübeln geblieben, wie ein fauler Nachgeschmack.«
»Worüber?«
Smolle schwieg.
»Sagen Ihnen die Namen Kieslinger, Prange, Holobeck, Manzon, Pelling, Hanson, Ruschko, Ritter, Eberhardt, Pallock oder Hockinson etwas?«
»Hockinson …«, hauchte er und sah kurz auf. »Sie wollen es wirklich wissen?«
Sie nickte.
»Tatsächlich alles?«
Evelyn nickte erneut.
»Ich war vorbestraft und trank manchmal zu viel, aber Hockinson gab mir eine Chance. Also fuhr ich für ihn. Vermutlich fand er keinen anderen Kapitän für dieses Schiff.« Er zuckte mit den Achseln. »Jener Sommer hat alles verändert.«
Er leerte die Rumflasche in einem Zug und starrte in die Öffnung. »Habe schon viele schlimme Sachen in meinem Leben erlebt«, begann er zu erzählen, »doch im August 1998 passierten die grässlichsten Dinge. Die Friedberg…«
… war ein Schiff der toten Seelen. Auf dem Deck, wo er stand und die Jacht steuerte, kam er sich vor wie der Fährmann, der die Toten über den Fluss in das Reich des Hades geleitete. Von außen sah die Friedberg wie ein Prunkstück aus. Blendend weiß und stromlinienförmig. Innen ebenso, mit goldenen Griffen, Marmorspiegeln und prunkvollen Betten mit seidenen Laken. Aber unter der Fassade war das Schiff schwarz wie der Teufel, schwarz wie heißer, tropfender Teer, der in der Mittagshitze schmorte und stinkende Blasen schlug. Wenn er je ein seelenloses Schiff gesteuert hatte, dann war es die Friedberg gewesen.
Im August liefen sie zum letzten Mal für neun Tage aus. An Bord gab es dreizehn Luxuskabinen für dreizehn Passagiere. Eine Reise auf der Friedberg kostete die Kunden mehr, als er sich vorstellen konnte. Doch so, wie die Gäste auftraten, war Geld das Letzte, worum sie sich Sorgen zu machen brauchten.
Es gab reichlich Alkohol an Bord. Nur vom Feinsten! Die teuersten Brandy- und Whiskysorten. Schampus und edle Zigarren. Bei einer Reise wie dieser waren auch Drogen im Spiel. Sie hatten alles an Bord. Die leichten Sachen wie Ecstasy oder Cannabis, auch synthetische Drogen und natürlich die harten Sachen … das volle Programm. Für jeden war etwas dabei. Hockinson sorgte dafür, dass es seinen Gästen an nichts mangelte. Schließlich war er in Insiderkreisen für seine exklusiven Kreuzfahrten bekannt.
Und dann gab es noch die anderen Passagiere - die Ware. Sie hielten sie im untersten Deck in fensterlosen Räumen zusammengepfercht. Kaum waren sie auf hoher See, begannen die Spiele. Der Steward brachte die Ware aus der Dunkelheit nach oben. Jeder trug einen Sack über dem Kopf Sie bekamen immer nur eine Kabine zu sehen, mehr nicht. Einige wussten wahrscheinlich nicht einmal, dass sie auf einem Schiff lebten. Es waren ja noch Kinder. Sogar ein Geschwisterpaar befand sich darunter. Der Junge war acht, das Mädchen höchstens zehn. Smolle
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