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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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wahr?«, fragte Evelyn. »Wissen Sie, wo sie ist?«
    Smolle füllte Evelyns Tasse. »Soviel ich weiß, landete sie in einer geschlossenen Anstalt in Hamburg … Kinderpsychiatrie Ochsenzoll… aber dort ist sie nicht mehr.«
    Evelyn wurde hellhörig. »Woher wissen Sie das?«
    Smolle sah sie traurig an. »Weil sie hier war.«
     
    47
     
    Das Klinikum Bremerhaven war ein gewaltiger Hochbau und Ende der siebziger Jahre sicher eines der modernsten Krankenhäuser des Landes gewesen. Heute sah das Gebäude mit dem Ärztehaus, dem Reha-Zentrum und den umliegenden Kliniken immer noch imposant aus.
    Pulaski war gegen neun Uhr abends angekommen. Die Klinik, die auf dem riesigen Areal von Bäumen und einem Teich begrenzt war, ragte einsam in die Nacht. Dabei wirkten die hellen Etagen wie eine Weihnachtsbeleuchtung. Im Kontrast dazu braute sich im Norden eine dunkle Wolkenfront zu einem gewaltigen Gewitter zusammen.
    Pulaski stellte seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ab, der nahezu leer war. Der Wind fegte das Laub über den Gehweg. Die Luft roch bereits nach Regen, als er zum Haupteingang lief. Diesmal hatte er die Dienstwaffe sicherheitshalber im Auto gelassen. Mittlerweile wusste er, wie sensibel Mediziner reagierten, sobald sie den Knauf einer Pistole unter einem Sakko erblickten.
    Doktor Vobelski, der früher Chirurg auf der Intensivstation gewesen war, hatte die Fachrichtung gewechselt und war mittlerweile Chefarzt der Inneren Medizin. So viel hatte Pulaski während der Autofahrt bei einem Telefonat mit Malte herausgefunden. Die Dame hinter der Glasfassade im Empfangsraum, die bereits wusste, dass Pulaski mit dem Arzt sprechen wollte, schickte ihn in den siebten Stock. Ein Glück, dass Vobelski Nachtdienst hatte. Allerdings hatte er wegen eines dringenden auswärtigen Termins die Klinik verlassen müssen und würde nicht vor 23.00 Uhr zurückkommen.
    Während Pulaski im Lift hochfuhr, schoss ihm der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass es sich bei Vobelski möglicherweise um den gesuchten grauhaarigen Mann im dunklen Mantel mit der Verletzung am Bein handeln könnte. In der siebten Etage steuerte er sogleich auf das Organigramm an der Wand zu. Die Innere Medizin bestand aus den Abteilungen Kardiologie, Onkologie, Diabetologie, Gastroenterologie sowie der Intensivmedizin. Jeder Arzt, Pfleger und jede einzelne Krankenschwester war mit einem Foto abgebildet. Über allen hing die Aufnahme von Doktor Vobelski. Er war an die sechzig Jahre alt - und grauhaarig. Pulaski studierte das Bild und hypnotisierte richtiggehend die Augen des Mediziners. Er hatte den Grauhaarigen bei der Verfolgung zwar nur von hinten gesehen, aber er kannte die Konturen des Profils, die Malte mit Hilfe des Computers von dem Überwachungsvideo aus Markkleeberg zusammengesetzt hatte. War das der Mann? Würde er humpeln, wenn er ihm begegnete?
    Pulaski riss sich von dem Bild los. In knapp zwei Stunden würde er es wissen. In der Zwischenzeit drückte er sich einen Kaffee nach dem anderen aus dem Automaten, obwohl es ihm bei dem Cappuccinodreck mit Pulver und Aromastoffen den Magen verrenkte. Andererseits hatte er heute noch nicht viel gegessen, und sein Magen knurrte wie der eines ausgehungerten Wolfs.
    Er setzte sich neben den Infoschalter auf eine Hartschalencouch zwischen zwei raumhohen Palmen aus Kunststoff und rief seine Tochter an. Seit er aus Göttingen weggefahren war, wusste Jasmin, dass er heute nicht mehr heimkommen würde. Sie übernachtete bei einer Freundin, mit der sie morgen zur Schule fahren würde. Pulaski wollte sich bloß vergewissern, dass sie wohlauf und nicht zornig auf ihn war.
    »Mach dir keine Sorgen, Paps«, flüsterte sie ins Telefon. »Kriegst du den Kerl, der die Russin getötet hat?«
    »Bestimmt.«
    »Okay. Mir ist aufgefallen, du hast Mamas Schachteln geöffnet.«
    »Ich habe nach einem bestimmten Buch gesucht.«
    »Du liest?«
    »Ich hab es versucht.«
    »O je.« Sie lachte leise. »Ich hab die Kartons weggeräumt.«
    »Danke.«
    »Fahren wir am Wochenende mit Rex in den Johannapark?« Da war wieder dieses schlechte Gewissen, das ihn jedes Mal heimsuchte, sobald er seine Tochter vertröstete. »Versprochen.«
    »Ehrlich?«
    »Ganz ehrlich.« Pulaski dachte an den Hund der Nachbarn. Rex war ganz verrückt danach, einem Frisbee hinterherzujagen.
    Pulaski warf einen Blick auf das Display. Der Energiebalken des Akkus hatte soeben ein weiteres Kästchen verloren. »Ich muss Schluss machen. Gute Nacht, meine Kleine.« Er

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