Rachewahn: Thriller
nicht nur viel Fantasie, sondern Sie verfügen auch über einen gewissen Grad an Allgemeinbildung.“
„Ich würde dieses Wissen nicht als Allgemeinbildung bezeichnen“, widersprach er. „Aber wie die meisten Menschen habe ich schon mal einen Krimi im Fernsehen geschaut. Daher kenne ich diese Vorrichtungen. Sollte ein Polizist Sie erschießen, so würden Sie im Moment des Todes den Auslöser betätigen. Er ist so an Ihrer Hand befestigt, dass Sie Ihren Daumen konsequent nach oben halten müssen. Bei einem tödlichen Schuss würde er automatisch nach unten auf den Schalter fallen.“
„Ich bin beeindruckt. Ihr Wissen kommt mir sehr entgegen. Es stellt nämlich sicher, dass weder Sie noch sonst jemand aus diesem Bus noch einmal ernsthaft erwägen wird, mich anzugreifen. Denn das liefe auf dasselbe Ergebnis hinaus.“
Volker nickte. Dann sah er hinaus auf die Straße. Auf den Bürgersteigen rechts und links waren nur noch wenige Menschen zu sehen. In einiger Entfernung hatten sich mehrere Personen wie eine Schranke aufgestellt, um neue Passanten zu warnen. In den beiden Seitenspiegeln konnte Volker dasselbe Szenario hinter dem Bus erkennen. Zudem sah er, dass der Gemüsehändler und der Supermarkt ihre Türen schlossen. Ähnlich wie bei dem Juwelier fuhren anschließend die Sicherheitsgitter herunter.
Anna beobachtete diese Handlungen nur für einen kurzen Augenblick. Schon kurz darauf konzentrierte sie sich wieder auf die Passagiere.
Ich darf mich nicht ablenken lassen! Selektion! Nur das Wichtige zählt! Das habe ich doch gelernt!
Nach wenigen Sekunden griff sie mit der rechten Hand in die Tasche ihrer Jeans und fischte ihr Handy heraus. Sie betrachtete es, sah dann Volker an und grinste. „Sie haben doch sicherlich -“
„Zentrale an Linie 5! Zentrale an Linie 5!“, dröhnte plötzlich eine weibliche Stimme durch den Bus. „Was ist bei Ihnen los? Wir haben von einer Verzögerung erfahren. Bitte melden Sie sich.“
Volker sah die Geiselnehmerin an. „Ich gehe davon aus, dass ich nicht antworten soll, richtig?“
„Aber ganz im Gegenteil. Inzwischen ist jedem Passagier klar geworden, was hier abläuft. Die Fronten sind geklärt. Nun können wir uns in Ruhe den äußeren Umständen zuwenden. Sie werden sich also nicht nur melden, sondern auch haarklein berichten, was sich hier abspielt.“
Volker biss sich auf die Zunge. Er warf einen weiteren Blick in den Seitenspiegel. Dann wischte er sich über seine Stirn. „Wie Sie wollen. Aber sagen Sie nicht, dass ich Sie mit meinen Bewegungen nun provoziere.“ Er griff zum Funkgerät, nahm es in die Hand und meldete sich: „Hier ist Volker Graustein von der Linie 5. Es gibt ein kleines Problem.“
„Welches Problem? Der Verkehr? Gab es einen Unfall? Oder haben Sie einen technischen Defekt?“, kam es von der weiblichen Stimme zurück.
„Weder noch. Es gibt eine Geiselnahme. Ich wiederhole: Es gibt eine Geiselnahme. Ein Fahrgast wurde bereits angeschossen.“
Für mehrere Sekunden herrschte Stille. Dann ertönte die Stimme wieder: „Könnten Sie das noch einmal wiederholen?“
„Ich kann es auch noch zweihundert Mal wiederholen! Das ändert nichts an der beschissenen Situation! Es gibt eine Geiselnahme hier im Bus! Haben Sie das jetzt kapiert?! Oder soll ich es buchstabieren?“
Während Anna lächelte, meldete sich die Zentrale wieder: „Können Sie weiterhin frei sprechen? Falls ja, wie ist Ihre genaue Position? Wie viele Geiselnehmer sind es? Mit welcher …?“
„Ich stehe auf der Kurze-Geismar-Straße . Schräg gegenüber von der zentralen Bankfiliale.“
„In Ordnung. Sagen Sie mir, wie viele Passagiere derzeit bei Ihnen sind und wie viele Geiselnehmer sich im Bus befinden.“
„Eine Geiselnehmerin, dreiundvierzig Fahrgäste. Die Geiselnehmerin steht neben mir. Sie hört mit. Sie will, dass ich Ihnen alles erzähle.“
„In welcher Verfassung befindet sich die Frau?“
„Sie ist von uns allen die Entspannteste. Genau das jagt mir eine Heidenangst ein.“
Als die ersten Sirenen in der Ferne ertönten, sagte Anna: „Das muss fürs Erste reichen. Vielleicht haben wir später Zeit für einen weiteren Plausch mit der Zentrale. Jetzt steht aber etwas Wichtigeres auf dem Programm. So wie ich die Bullen kenne, fackeln die nämlich nicht lange. Deshalb sollten wir denen lieber auch sofort mitteilen, womit sie es hier zu tun haben.“
„Ich … ich muss jetzt Schluss machen“, hauchte Volker ins Funkgerät, ehe er es wieder in die
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