Rachmann, Tom
Ersatz für Lloyd einfach verweigern?«
»Es ist Wahnsinn.«
»Eine Unverschämtheit.«
»Bist du morgen da?«
»Mein freier Tag, meine Liebe.
Moment, Moment - bevor du davonspazierst, eine kleine Vorwarnung, ich sitze
gerade an einer aparten Berichtigung für morgen.«
Sie stöhnt auf, er grinst.
In letzter Zeit wird der
Kasten mit den Berichtigungen immer größer. Ein paar Anlässe haben es sogar
auf einen Ehrenplatz an Hermans Korkbrett geschafft: Tony Blair stand mal auf
einer Liste mit »jüngst verstorbenen japanischen Würdenträgern«, Deutschlands
Wirtschaft war befallen von »Genitalschwäche«, und beinah täglich finden sich »Untied
States«. Herman tippt die letzte Korrektur für morgen zu Ende: »In einem
Beitrag von Hardy Benjamin auf der Wirtschaftsseite von Dienstag wurde der
ehemalige irakische Diktator irrtümlich als Sadism Hussein tituliert. Die
korrekte Schreibweise ist Saddam. Wir gehen nicht davon aus, dass der Mann
aufgrund unseres Satzfehlers an Vertrauenswürdigkeit eingebüßt hat, trotzdem
bedauern wir ...« Er sieht auf die Uhr. Miriam fliegt heute Abend los, Jimmy
kommt morgen an. Herman hat noch viel zu tun. Er zieht den Mantel an und bohrt
einen Finger in die Luft. »Vertrauenswürdigkeit!«, sagt er.
Zu Hause in Monteverde klemmt
die Tür, also stemmt Herman sich mit der Schulter dagegen und zwängt sich
knurrend durch den Spalt. Der Eingang ist blockiert vom Gepäck seiner Frau. Sie
fliegt heute Abend nach Philadelphia, die Tochter und die Enkelkinder
besuchen. Das Klickklack ihrer Stöckelschuhe hallt durch den Flur.
»Schnuckelchen«, ruft er und zwängt sich am Gepäck vorbei, »Schnuckelchen, ich
glaube, ich habe einen von deinen Koffern angedetscht. Den roten.«
»Burgunder«, präzisiert sie.
»Ist das kein Rot?«
Bei der Arbeit ist Herman fürs
Korrigieren da. Hier nicht.
»Hoffentlich habe ich nicht
alles zerdeppert. Waren da die Geschenke drin? Sollen wir ihn aufmachen und
nachgucken? Was meinst du?« Er windet sich, als hätte er eine schwankende Vase
vor sich, und wartet auf ihr Urteil.
»Der war so genial gepackt«,
sagt sie.
»Tut mir wirklich leid.«
»Hat eine Ewigkeit gedauert.«
»Ich weiß. Ich bin
schrecklich. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Sie kniet sich vor den Koffer
und macht die Gurte wieder ab, er hält einen Finger in die Luft - diesmal
nicht, um darin herumzubohren, sondern um Vergebung zu erflehen. »Liebling,
soll ich dir vielleicht einen kleinen Drink servieren? Würde dir das gefallen?«
»Darf ich mich erst mal um
meinen Koffer kümmern?«
»Ja, ja, natürlich.«
Er sucht Zuflucht in der Küche
und fängt an, Karotten und Sellerie zu schnippeln. Beim Klang ihrer Hackenden Stockei
fährt er herum. »Eine schöne, herzhafte Suppe, damit du gut gefüllt bist für
den langen Flug.«
»Du klingst, als wäre ich eine
Thermoskanne.«
Er schnippelt weiter.
»Köstlich, dieses Gemüse - soll ich dir ein paar Scheiben abschneiden?«
»Wirklich schade, dass du
nicht mitkommst. Aber Jimmy ist dir wohl wichtiger.«
»Sag das nicht.«
»Entschuldige«, sagt sie. »Ich
wollte dich nur ärgern.« Sie stiebitzt eine Karotte. »Hast du Angst vor dem
Flug?«
Sie zwinkert zustimmend mit
den Augen und mustert seine Suppenmixtur. »Da fehlt Salz.«
»Woher willst du das wissen«,
protestiert er und probiert selbst. Sie hat recht. Er salzt nach und gibt ihr
einen Kuss auf die Wange.
Nach dem Essen bringt er
Miriam zum Flughafen und rast zurück nach Hause. Der blaue Familien-Mazda ist
winzig und zerbeult, und mit ihm am Steuer sieht er aus wie ein Auto beim Slot-Car-Rennen.
Er bezieht das Gästebett für Jimmy und räumt die Wohnung auf. Aber es gibt gar
nicht mehr so viel zu tun, wie er gedacht hat. Er fährt mit dem Finger über den
Rand des Topfs mit der kalten Suppe (Acquacotta di Talamone: Karotten und Sellerie,
gewürfelte Pancetta, Kürbis, Zucchini, Feuerbohnen, Limabohnen,
Artischockenherzen, geriebener Pecorino, frisch gemahlener Pfeffer, acht
gekochte Eier, vierzehn Scheiben Toast). Jimmy und er kennen sich seit Ende der
fünfziger Jahre, damals in Baltimore waren sie die beiden einzigen jüdischen
Jungs auf einer presbyterianischen Privatschule gewesen. Auf die Schule hatte
sein Vater ihn geschickt, ein griesgrämiger Zionist und Wiedergänger von Karl
Marx, der fand, die beste Schule der Gegend sollte dazu gezwungen werden, einen
fetten kleinen Juden aufzunehmen, nämlich seinen Sohn. Der fette kleine Jude
selbst fand es wenig
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