Rachmann, Tom
abwechselnd:
»Das glaubst du ja nicht!« Oder: »Ist das irre!«
»Wie lange hast du denn so
vor, hier zu bleiben?«
»Was dagegen, dass ich hier
bin, oder so was?« Snyder wirbelt herum.
»Naja, kann ja sein, dass ich
selber nachher ins Internet muss.«
»Mach Sachen.« Snyder dreht
sich zurück zum Laptop.
Am frühen Abend hängt er immer
noch vor Winstons Computer, aufstehen tut er nur, um sich mit Winstons Essen
vollzustopfen und seine Habseligkeiten über den ganzen Fußboden zu verteilen.
Aller mögliche Snyder'sche Krempel - eine Haarbürste, ein Messenger-Rucksack aus
Kevlar, Sportsocken, Deo - zieht immer größere Kreis um ihn auf dem Teppich.
Der Pavian markiert sein Territorium.
»Sorry«, sagt Winston
irgendwann, »ich muss jetzt wirklich los. Du musst dich ausloggen.«
»Warum denn so 'ne Hetze?«
»Ich muss was essen.«
»Bin hier komplett fertig.
Lass mir noch eine Sekunde. Und dann gehen wir zusammen ins Paprika. Ich liebe
den Laden.« Eine halbe Stunde vergeht. »Bin fertig. Alles erledigt.« Eine
weitere halbe Stunde vergeht.
»Komm einfach nach, wenn du
wirklich fertig bist.« Winston ballt ein paarmal nacheinander die Fäuste.
»Mach dich doch mal locker,
Bruder!«
Um elf Uhr geht Snyder endlich
vom Netz. Draußen vor der Tür fragt er: »Und mein Schlüssel?«
»Was meinst du?«
»Wenn du noch im Restaurant
sitzt, ich aber schon wieder hier bin, dann komm ich nicht rein«, sagt Snyder.
»Da ist doch mein ganzes Zeug drin.«
»Kommst du nicht mit essen?«
»Hast du das etwa gedacht? Du
lieber Gott! Hoffentlich hast du nicht meinetwegen gewartet. Nee, Mensch. Ist
ja drollig. Aber ich bin garantiert früher zurück als du. Schlüssel?« Er nimmt
ihn Winston aus der Hand. »Der Hammer, Mann - du bist echt der Hammer.« Er
joggt, nach einem Taxi winkend, die Straße hinunter.
»Halt mal«, ruft Winston,
»warte.«
»Mann«, brüllt Snyder zurück,
»bin gleich wieder da, so zehn Minuten. Da hast du noch gar nicht bestellt.«
Dann springt er in ein Taxi und ist weg.
Um diese Uhrzeit haben alle
Restaurants in der Umgebung längst zu. Es gibt noch einen
Tag-und-Nacht-Imbiss, die Maison Thomas, aber der ist wegen Renovierung geschlossen.
Winstons Rettung ist ein schmuddeliger Spätkauf. Er kauft eine Tüte
Kartoffelchips, einen Schokoriegel und eine Dose Mecca Cola und setzt sich zum
Verzehr vor die Haustür, die Uhr ständig im Blick und mit dem unguten Gefühl,
bei dem ganzen Rich-Snyder-Treiben den Kürzeren zu ziehen.
Um drei Uhr nachts kommt
Snyder angetrottet. »Du lieber Gott, was machst du denn hier draußen?«
»Du hast den Schlüssel«,
antwortet Winston.
»Und deiner?«
»Den hast du.«
»Tja, dumm gelaufen.« Snyder
schließt auf. »Ich nehme das Bett, wegen meinem Rücken.« Er wirft sich diagonal
über die Matratze. »Du kommst doch mit dem Sessel klar, was?«
»Nicht sehr gut.«
Aber Snyder schnarcht schon.
Winston möchte diesen Typen am liebsten rausschmeißen. Bloß - er braucht auch
dringend Anleitung von jemandem, der weiß, wie Journalismus geht. Angewidert
mustert er Snyder, der das ganze Bett mit Beschlag belegt hat. Vielleicht muss
man als Journalist so auftreten. Er richtet sich auf dem Sessel ein.
Um neun rüttelt Snyder ihn
wach. »Was hast du 'n zum Frühstück, Mann?« Er reißt den Kühlschrank auf. »Irgendwer
muss einkaufen gehen. Kerl, wir haben noch so dreißig Minuten, so.«
»Bis wann?«
»Wir fangen an mit dem Mann
auf der Straße, Volkes Stimme. Ist Scheißdreck, weiß ich, aber ist nun mal der
Job.«
»Sorry, ich verstehe kein
Wort.«
»Übersetzen - du kannst für
mich dolmetschen. Hab ich dir doch gesagt, ich kompromittier mir nie mit Fremdsprachen
meine Objektivität.«
»Aber ich muss an meinen eigenen
Artikeln arbeiten.«
»Als da wären?«
»Ich wollte was schreiben über
die US-Friedensinitiative - Abbas und Olmert nehmen womöglich die regelmäßigen
Gespräche wieder auf, habe ich gehört.«
Snyder lächelt. »Schreib kein
Diplomatenzeug. Schreib was über Menschen. Mein Büro ist der Gobelin der
menschlichen Erfahrung.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Wie bitte?«
»Oder was über Iran und
Atomwaffen, eventuell.«
»Was über Teheran aus Kairo?
Auweia. Pass auf, Kerl, ich erzähl dir jetzt mal 'ne Geschichte. Als ich damals
in Bosnien war, da hab ich gehört, dass in Srebrenica irgend 'ne Scheiße läuft.
Ich hab niemandem ein Wort gesagt, bin in meinen Lada gestiegen, hingefahren.
Unterwegs treffe ich irgendso 'n
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