Rachmann, Tom
NGO-Groupie. Und sie so: >Wo willst'n du
hin, Snyder<, so? Und ich so: >Ferien<, oder so.«
»Kapiere ich nicht.«
»Hätte ich der nur ein Wort
gesagt, Srebrenica hätte gewimmelt von noch mehr NGO-Groupies und Reportern
und so 'm Scheiß. Und wo war ich geblieben? So hatte ich 'n ganzen Tag Vorsprung,
bevor alle andern mit dem Massaker kamen. Seitdem ist ja die N ew Y ork T imes geil auf
mich. Bis irgendso 'n Bonzenredakteur behauptet, ich pass nicht zu deren Kultur
oder so was. Und ich so: Für euch Typen würd ich eh nicht arbeiten.«
»War bestimmt ziemlich
schlimm.«
»Was, nicht zur T imes
zu dürfen?«
Ȇber ein Massaker zu
berichten.«
»Ach so, ja, absolut.«
»Aber«, Winston klingt
unsicher, »irgendwie habe ich im Kopf, dass ein anderer Reporter das Massaker
zuerst hatte.«
Snyder klappt wieder mal sein
Handy auf und zu. »Ich erzähl keinen Quatsch. Und mal entre nous, der Typ ist eine hinterfotzige
Ratte ohne jeden Anstand. Aber egal - jeder muss sein Leben leben. Mein Motto
ist: >Schluss mit Hass.<«
Winston weiß nicht recht, was
das alles mit seiner Idee für eine Story über die atomtechnischen Aktivitäten
im Iran zu tun haben soll, hält es aber für klüger, das Thema zu wechseln.
»Trotzdem muss ich jetzt endlich einen Artikel in die Zeitung kriegen. Ich
meine, ich bewerbe mich ja um die Stelle hier.«
»Bewerben? Du kriegst den Job.
Trau ich dir total zu.«
»Freut mich. Aber ich hab noch
keine einzige Story geschrieben und bin jetzt schon zwei Wochen hier.«
»Mach dir nicht so 'n Stress. Du musst Spaß dran haben. Und hör
zu, ich hab absolut kein Problem damit, dass du da als Mitarbeiter mit
drunterstehst. Was juckt mich denn die Autorenzeile - ich meine, wie oft stand
da schon mein Name? Zehntausend Mal?« Er sucht Winstons Gesicht nach Zeichen
der Ehrfurcht ab. »Na los, komm - du kriegst die Erwähnung als Mitarbeiter,
'kay?«
»Die Story kriegt deinen und
meinen Namen?«
»Wenn dich das vor Glück aus
den Schuhen kippt, Bruder.«
Winston huscht unter die
Dusche und wirft sich in Schlips und Anzug. Snyder steht schon an der Tür, in
Fake-Militär-Kluft, Laptop unterm Arm.
»Ist das meiner?«, fragt
Winston.
»Ist der, der auf dem Tisch
stand«, sagt Snyder. »Let's roll, Bruder!«
»Wieso nimmst du meinen Laptop
mit?«
»Wirst du sehen.« Er läuft vor
Winston die Straße des 26. Juli hinunter, die Hauptstraße von Ez-Zamalek, und
zeigt auf einen entgegenkommenden Geschäftsmann. »Nimm den Kerl da vorn.«
»Was meinst du mit >nimm
den«
»Mach 'n Interview. Mann auf
der Straße eben. Ich schieß mir solange 'n Kaffee.«
»Und was soll ich den fragen?«
Aber Snyder ist schon im Café
Simonds.
Winston tritt dem
Geschäftsmann behutsam in den Weg, aber der beschleunigt nur den Schritt und
fegt an ihm vorbei. Winston hält Ausschau nach anderen Opfern. Aber kaum kommt
jemand näher, verlässt Winston der Mut. Er schleicht ins Café Simonds. Snyder
thront auf einem Barhocker vor Winstons Laptop, interviewt Einheimische auf
Englisch und isst nebenbei eine ganze Platte Gebäck leer. Er tippt mit den
klebrigen Zeigefingern.
»Und?«, fragt er kauend.
»Schöne Zitate von dem Businesstypen?«
»Was dagegen, wenn ich mir
auch einen Kaffee schieße?«
»Keine Zeit.« Snyder klappt
den Laptop zu. »Ich muss nach Khan el-Khalili, und ich kann dir nur raten mitzukommen.«
»Aber ich habe seit gestern
kaum was im Magen - darf ich nicht vorher wenigstens einen kleinen Happen
essen?«
»Nimm das hier.« Er schiebt
ihm den letzten Rest Minicroissant mit Spucke und Zahnabdrücken hin.
Als sie ins Taxi steigen,
tritt ein großer, hagerer Mann aus dem Café und beobachtet sie. Dann steigt er
in eine schwarze Limousine, die sich hinter das Taxi setzt. Winston sieht aus
dem Rückfenster: Die schwarze Limousine folgt ihnen. Als sie an dem
Straßenmarkt halten, ist die Limousine nirgends zu sehen.
Snyder zeigt auf die wuselige
Menschenmenge. »Nimm die Taube da.«
»Welche Taube?«
»Die in dem schwarzen
Manteldings.«
»In der Burka, meinst du?«
»Schnapp sie dir, Großer. Wir
brauchen noch 'n paar Mann-auf-der-Straße-Dinger.«
»Das ist aber eine Frau mit
Burka. Kann ich Mann-auf-der-Straße nicht mit einem Mann auf der Straße
machen?«
»Bist du rassistisch.« Synder
geht einfach weiter und macht sich investigativ an einem Gewürzstand zu
schaffen.
Winston sagt sich ein paarmal
lautlos den arabischen Satz vor, in dem er die meiste Übung hat:
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