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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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zum ersten- und abends um zehn zum letztenmal. Es will gebadet, gefüttert, gewickelt, gehätschelt und in Ruhe gelassen werden. Es schreit, wenn man gerade Fenster putzt, und es schläft, wenn man es stolzgeschwellt der Verwandtschaft vorführen möchte. Es bringt den ganzen Tagesablauf durcheinander und kostet viel Zeit.
    Mit einem Garten ist es so ähnlich. Da rührt man gerade einen Biskuitteig an, dir zumindest bei mir immer größte Aufmerksamkeit erfordert, und plötzlich verdunkelt sich die Küche. Gewitterwolken ziehen auf, die ersten Böen wirbeln Papierfetzen hoch, darunter auch die heutige Zeitung, weil jemand (wer wohl?) sie auf der Terrasse liegengelassen hat, und dann fällt einem siedendheiß ein, daß der Rasenmäher noch draußen steht und der Sonnenschirm aufgespannt ist. Während die ersten dicken Tropfen an die Scheibe klatschen, stürzt man mit wehenden Haaren in den Garten und rettet, was noch zu retten ist. Der Schirm torkelt durch die Blumen und hat schon drei Gladiolen geknickt. Die anderen erledigt der Wind. Man tut, was man kann, aber es nützt nichts mehr. Außerdem gießt es in Strömen.
    Kaum wieder im Haus und notdürftig getrocknet, entdeckt man, daß der Sturm das halbe Himbeerspalier abrasiert hat. Die losgerissenen Ranken pfeifen wie Peitschen durch die Luft. Man sucht händeringend die Bastrolle, findet sie natürlich nicht, nimmt den sonst verpönten Bindfaden und stürzt sich erneut in die Sintflut.
    Klatschnaß und verdreckt, von oben bis unten zerrupft und zerstochen, schwankt man nach den provisorischen Rettungsmaßnahmen zurück ins Haus. In diesem Augenblick kommt die Sonne hervor und bescheint die Katastrophe. Nicht nur die Gladiolen, nein, auch die Dahlien hat es erwischt. Zwei abgebrochene Sonnenblumen haben melancholisch die Köpfe gesenkt, die zusammengeflickten Himbeeren sehen aus wie Stacheldraht. Daß der Kuchenteig inzwischen auch im Eimer ist, muß man als weiteren Schicksalsschlag hinnehmen.
    Abends kommt der Gatte nach Hause, inspiziert sein demoliertes Reich und sagt vorwurfsvoll: »Du kriegst aber auch alles kaputt! Hättest du nicht vorher ein bißchen… Schließlich ist es ja auch
dein
Garten!«
    Als ausgesprochen positive Folge der überall in der Siedlung ausgebrochenen Gartenleidenschaft empfand ich die Tatsache, daß sich auch die Gesprächsthemen gewandelt hatten. Mitunter blickten wir zwar neidisch in Isabells Garten, wo die Besitzerin im Liegestuhl schmorte, während wir Unkraut jäteten, aber das geschah weniger wegen der aufreizenden Badeanzüge, von denen sie ungefähr ein Dutzend besaß, sondern mehr aus »beruflichem« Interesse. Isabell hatte den schönsten Rasen, die üppigsten Blumen, obwohl sie sich kaum darum kümmerte, und als einzige von uns allen eine herrliche Birke. Die mußte bei den Bauarbeiten glatt übersehen worden sein.
    Nachbarliche Kontakte spielten sich fast nur noch in den Gärten ab. Wollte ich mir von Frau Heinze eine Probe von dem hundertprozentig wirkenden Schneckengift holen, dann stieg ich hinten über unseren Zaun, überquerte den Gehweg, stieg vorne über ihren Zaun und fand sie mit ziemlicher Sicherheit irgendwo zwischen Maggikraut und Tausendschönchen.
    »Ich komme gleich!« rief sie über die Schulter hinweg. »Ich muß das hier nur noch schnell umsetzen!«
    Nach einiger Zeit erhob sie sich, machte mir die Hände schmutzig und sagte strahlend: »Kommen Sie mal schnell mit, das
müssen
Sie einfach sehen!«
    Gehorsam trabte ich hinterher und bewunderte pflichtgemäß ein bescheidenes Blümchen, das sich heroisch gegen eine Phalanx von Dickblattgewächsen zu behaupten suchte.
    »Was ist denn das?«
    »Keine Ahnung«, sagte Frau Heinze, »aber ich habe es selbst gezogen.« Worauf wir uns in ein Fachgespräch stürzten über die Vermehrung von Szillen, über Kunstdünger, Wanderameisen und Kletterrosen. Zum Schluß zog ich mit zwei Blumenzwiebeln ab, die wir noch nicht hatten, und einem Samenkatalog, den wir auch noch nicht hatten. Ihm entnahm ich später, daß die schönsten und dankbarsten Blumen diejenigen waren, die nicht in unserem Garten standen.
    Auch bei den Männern, samt und sonders Gartenneulinge und deshalb bestrebt, möglichst schnell das Gegenteil zu beweisen, drehte sich alles nur noch um Grünzeug. Wenn sie sich nach Einbruch der Dunkelheit auf irgendeiner Terrasse zum Feierabendschoppen zusammenfanden, ließen sie sogar ihre vollen Gläser stehen und kletterten statt dessen über drei Zäune, um hinter

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