Radikal führen
formuliert wurde. Oder ob die Standards des Organisierens nicht grundsätzlich infrage zu stellen sind, das heißt umzustellen sind auf Flexibilität und Kontingenz. Wir müssen uns fragen, ob es hinreichend ist, an der bestehenden Ordnung festzuhalten, nur weil sie eben Ordnung ist und Unordnung ersetzt. Wenn sie keine positive, das heißt vom Kunden her gedachte Begründung hat, dann ist sie nicht zukunftsfähig.
Wenn man den »Auftrag« als Hauptbestandteil eines Unternehmens betrachtet, dann sollte die Organisationsform vor allem dies sein: Maßarbeit um den Auftrag herum. Der Kundenauftrag ist die Norm, an der sich alles zu orientieren hat. Dann muss sich das Unternehmen (beziehungsweise ein Unternehmensteil) immer neu um das konkrete Kundenproblem herum formen. Das Kundenproblem »stört« dann nicht den Prozessablauf, sondern das Kundenproblem ist die Voraussetzung für die Existenz der Organisationsform. Der Blick nach außen muss die Unternehmen veranlassen, den Anspruch eines perfekten Endzustandes aufzugeben und sich gleichsam von Ereignis zu Ereignis weiterzuentwickeln. Im unsicheren Gelände ist Bewegung dabei nicht immer »Fortschritt«, sondern manchmal eben schlicht Anpassung an Marktbedingungen. Als avanciertes Beispiel diene in der Pharmaindustrie der strategische Wachstumbereich »personalisierte Medizin«, der Medikamente auf Basis der Analyse menschlichen Erbgutes individuell herstellt.
Ein Unternehmen, das den Kundenauftrag zur »bewussten« und immer wieder neu »erinnerten« Existenzgrundlage hat, darf sich im Grunde gar nicht »aufstellen«. Es muss mindestens auf eine monolithische Struktur verzichten. Es hat keinen Orga-Plan, keine »Stellen«-Beschreibungen, es darf nicht sagen »Ich habe die Lösung, wo ist das Problem?« Letztendliche Lösungen sind darin wenig wahrscheinlich – man begnügt sich mit mehr oder weniger brauchbaren Moment-Lösungen. Es verkauft nicht, was es produzieren kann, sondern produziert, was es verkaufen kann. Und wenn sich der Markt ändert, sich entsprechend die Aufträge ändern, dann passt sich die Organisationsform dem Markt an, um erfolgreich zu bleiben.
Eine flexible, marktgetriebene Organisation ist fast keine Organisation mehr – sie gleicht mehr einem Zur-Verfügung-Halten von Potenzialen (zum Beispiel mittels des Interim-Managements). Und damit ist sie eher in KMUs wahrscheinlich. Zentral geführten Konzernen ist eine solche Organisationsform wesensfremd. Sie müssen sich Störungen gleichsam »künstlich« beschaffen; sie müssen – meist »von oben« – wieder einführen,was im Prozess des Organisierens ausgeschlossen wurde. Sie müssen sich mit »Erregern« versorgen, die es markt- und weltoffen halten, zukunftsfähig. Einige dieser gewollten »Störungen« werde ich im Folgenden nennen. Sie können dabei helfen, Ihr Unternehmen wieder in den Modus des Problemlösens zu versetzen.
Zunächst aber gilt es festzuhalten: Es kann nicht darum gehen, die eine Ideologie durch eine andere zu ersetzen, Bürokratie und Hierarchie abzuschaffen und nach dem Gegenteil zu rufen. Die Organisation, die nicht ein Mindestmaß an Regeln und Strukturen hat, ist keine Organisation mehr. Aber es ist ein Unterschied, ob man die Vergangenheit verherrlicht oder sich der Zukunft öffnet. Ob man für die Organisation arbeitet oder für den Kunden. Ob man das Schwanken zwischen Boom und Krise für ein Defizit der Wirtschaft hält oder für ihre Form. Es gibt kein »richtiges« Management, das einen permanenten Gleichgewichtszustand erreicht. Wohl aber ein Management, das auf Krisen besser reagiert als andere.
Experimentieren
»Ich möchte hervorheben, dass die Befähigung zur Evolution von Ordnungssystemen in unserer Zeit entscheidend für den Erfolg ist.« Reinhard Mohn hat das geschrieben, der Gründer der Bertelsmann AG. Einige der geschicktesten Verhaltensweisen langlebiger Unternehmen sind Experimentierfreude, Herumprobieren, Irrtum, Opportunismus und Zufall. Was wie brillante Planung aussieht, ist oft das Ergebnis der Devise: »Probieren wir eine Menge aus und bleiben wir bei dem, was funktioniert. So lange, bis es nicht mehr funktioniert.« Als historisches Beispiel diene das Manhattan Project Oppenheimers, als aktuelles Beispiel Google, das statistisch nur eins von hundert Projekten zur Marktreife kommen lässt. Das Motto dazu in Kurzform: »Start many, try cheap, fail early!« Denn unterden erwartbar unerwartbaren Bedingungen werden nur Unternehmen mit einem
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