Radikal führen
fast.« Die meisten Manager machen es genau anders herum: Sie stellen schnell ein und trennen sich sehr langsam. Und das ist dann im ersten Fall fahrlässig, im zweiten unfair. Nimmt man als Indikator die Zeit, die Manager bereit sind, sich für Auswahlverfahren zur Verfügung zu stellen, dann wird die real existierende Nachrangigkeit überdeutlich. Denn sie tun nicht, was sie wissen. Also: Nehmen Sie sich Zeit! Räumen Sie der Auswahl neuer Mitarbeiter zeitlich den Rang ein, der ihr für die Zukunft des Unternehmens zukommt. Wer einen Bewerber weniger als dreimal sieht, handelt fahrlässig – und dies ist nur die Mindestforderung. Das gilt nicht nur für die Zahl der Gespräche, es gilt insbesondere für das Bewerbungsgespräch selbst. Wer dem Bewerber signalisiert »Wir haben wenig Zeit!«, der signalisiert Geringschätzung. »Wenig Zeit« bedeutet »Sie sind uns nicht wichtig«. Vergessen Sie nicht: Das Verfahren dient einerseits der Diagnose, andererseits dem Personal-Marketing. Der Bewerber ehrt Sie, wenn er zu Ihnen kommt. Sie sollten ihn auch ehren. Es ist ein wichtiger Tag für ihn. Deshalb sollten Sie genauso gut auf ihn vorbereitet sein, wie er sich (hoffentlich) auf Sie vorbereitet hat.
Das trifft auch zu für die Seite des Personal-Marketings: Aus der Erfahrung mit Ihnen schließt der Bewerber auf die nichterfahrbaren Merkmale des potenziellen Arbeitgebers. Ihr Verhalten repräsentiert gleichsam das ganze Unternehmen. Wenn besonders qualifizierte Bewerber die Wahl zwischen mehreren Angeboten haben, kann das den Unterschied machen.
Versuchen Sie außerdem, Ihre eigenen Prägungen weitestmöglich zu erkennen. Aus der Psychotherapie wissen wir: Seit wir unsere Partner wählen können, ist die Partnerwahl das stärkste Symptom. Das gilt cum grano salis auch für Ihre Personalauswahl: Sie sagt viel aus über Sie selbst. Wenn Sie nicht permanent in die Falle der Selbstähnlichkeit tappen wollen, dann müssen Sie Ihre Empfindlichkeiten und Prägungen kennen. Dann müssen Sie sich Rechenschaft ablegen über das innere Suchbild, das allen Beurteilungsverfahren vorausläuft. Wenn Sie Ihre eigenen Prägungen nicht erkannt haben, werden Sie das Anderssein des Anderen immer als Schwäche begreifen. Ein durchsetzungsstarker Mensch ist dann in Ihren Augen vielleicht ein »Tyrann« oder ein einfühlsamer Mensch ein »Weichei«. Ein schneller Mensch erscheint Ihnen vielleicht als »oberflächlich« oder ein sorgfältiger Mensch als »detailverloren«. Sie sind dann kaum bereit anzuerkennen, dass auf der anderen Seite Ihres bevorzugten Verhaltens immer auch eine nützliche Eigenschaft liegt. Also müssen Sie als Diagnostiker intim vertraut sein mit Ihrem eigenen Polaritätenprofil. Je heftiger Sie auf ein Bewerberverhalten reagieren, desto mehr hat diese Reaktion etwas mit Ihnen zu tun. All das heißt in der Summe: Der wichtigste Qualitätsfaktor in der Diagnostik sind Sie selbst!
Für die Objektivierung der Wahl ist es unerlässlich, dass Sie ein Anforderungsprofil für die zu besetzende Position erstellen. Je klarer und präziser die Anforderungen sind, desto besser wird Ihre Auswahl sein. Eigentlich eine Trivialität. Ist es aber keineswegs. Oft wird kein Anforderungsprofil erstellt, weil man – siehe oben – sich entweder keine Zeit dafür nimmt, man sich nicht zu früh festlegen will oder man befürchtet, den geforderten Kriterien selbst nicht zu genügen. Das darf Sie nicht daran hindern, handwerklich gute Arbeit zu leisten. Das Gespräch können Sie dann um das Profil zentrieren: Stellen Sie anforderungsrelevante Fragen! Und machen Sie nicht den Fehler, die Bewerber untereinander zu bewerten. Dann diagnostizieren Sie deren Eignung nicht anforderungsbezogen, sondern personenbezogen. Der Maßstab muss aber das Anforderungsprofil sein, nicht die Kandidaten.
Der Maßstab sind auch nicht die Zeugnisse des Bewerbers. Es ist unklug, die Vergangenheit auszubeuten, um die Zukunft zu prognostizieren. Hinzu kommt, dass Zeugnisse oft mehr über den Beurteiler verraten als über den Beurteilten – ganz unabhängig von ihrer arbeitsrechtlich ohnehin eingeschränkten Aussagekraft. Gravierend ist außerdem, dass, wenn Sie alte Zeugnisse lesen, Sie schon mit einer impliziten Hypothese in das Bewerbungsgespräch gehen. Die Falle der sich selbst erfüllenden Prophezeiung schnappt sofort zu. Sie nehmen dann nur noch wahr, was Sie erwarten. Seien Sie fair: Geben Sie dem Bewerber eine Chance auf einen Neubeginn. Vielleicht
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