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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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erkennende, rot bekleckerte Eiswürfel in seinem Glas unterschied. Der Staatssekretär saß hinter einer FAZ versteckt in einem schweren Ledersessel neben dem Panoramafenster, durch das er eine abhebende Qatar-Airways-Maschine hätte sehen können, wenn er seinen Kopf nach links gewandt hätte. Neben seiner Bloody Mary standen zwei halbe Lachsbrötchen.
    Samson setzte sich in den Sessel Sinn gegenüber und räusperte sich.
    Sinn ließ die Zeitung sinken. Er trug einen dezenten Nadelstreifenanzug und war frisch rasiert. In dem straffen, knochigen Gesicht unter dem Cäsaren-Haarkranz bildeten die blauen Augen das eindeutige Zentrum. Sie tasteten Samson aufmerksam ab. »Ach, das ist ja eine Überraschung! Guten Morgen! Wie geht es Ihnen?«
    Er spielt mit , dachte Samson, den das ungewohnte Anzughemd am Hals kratzte, und erwiderte den Gruß, während er seinen Sessel beiläufig näher an den Tisch zwischen ihnen schob. Sinn tat dasselbe. Zwei Geschäftsleute treffen sich eine Stunde vor dem Abflug nach Washington in der Senator-Lounge und tauschen sich aus: Niemand starrte sie an. Niemand würde ihrem Gespräch lauschen können.
    »Woher wissen Sie von dem Kommando?«, eröffnete Sinn das Gespräch.
    »Wieso sollte ich Ihnen das sagen?«
    »Wieso nicht, wenn Sie mitmachen wollen?«
    »Ich kenne eine Menge Leute, das sollten Sie wissen. Sie sollten ein bisschen vorsichtiger sein. Betrachten Sie diese Information als meine Morgengabe.«
    Sinn ließ sich durch die Bemerkung nicht aus der Ruhe bringen. »Glauben Sie, ich kenne das Geschäft nicht?«
    »Keine Sorge, ich gehe davon aus, dass Ihre innersten Geheimnisse nach wie vor sicher sind.«
    »Hören Sie, bevor wir weitermachen: Ich verstehe hier etwas nicht. Warum wenden Sie sich an mich? Was wollen Sie? Wenn Sie Probleme mit Mahomets Erben haben, können Sie das doch auf tausend erdenkliche Möglichkeiten ausleben. Was habe ich damit zu tun? Oder dieses Kommando, von dem Sie immer reden?«
    »Weil ich meine Zeit nicht verschwenden will.«
    »Wieso sollte ich Ihnen trauen?«
    Samson versicherte sich mit einem schnellen Rundblick, dass niemand zu ihnen herübersah. Schnell krempelte er seinen rechten Hemdsärmel bis zum Ellenbogen nach oben und zeigte Sinn seinen mit tiefen Schnittwunden und dunkelblauen Flecken übersäten Unterarm, den er zwei Tage zuvor mit einem Stück Stacheldraht, einem abgebrochenen Flaschenhals und einem Hammer selbst malträtiert hatte.
    »Ich war bei dem Anschlag dabei. Ich habe überlebt, aber ich könnte genauso gut tot sein, so wie der Mann neben mir.«
    »Und jetzt haben Sie die Seiten gewechselt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Als Sie bei uns waren, hatte ich nicht das Gefühl, dass Sie in demselben Maße wie wir von einer Bedrohung unserer Zivilisation ausgehen.«
    »Glauben Sie, es macht mir Spaß, mir jedes Mal mühsam Gegenargumente auszudenken?«
    »Wieso haben Sie es dann getan? Wir waren doch unter uns.«
    »Ich will ja gar nicht verhehlen, dass ich bislang meistens dem Reflex gefolgt bin, eine scheinbar missverstandene und bedrängteGruppe in Schutz zu nehmen. Leider kann davon keine Rede mehr sein. Denn die bedrängen uns mittlerweile viel mehr, als es andersherum je der Fall war, und ich fürchte, dass hat mit einer gewissen falsch verstandenen Toleranz zu tun und eventuell mit einem Mangel an Selbstbewusstsein.«
    »Und das haben Sie jetzt erst gemerkt?«
    »Nein. Ich habe schon länger geahnt, was mir jetzt klar ist: Dass ich in einer Ideologie gefangen war. Aber ich gebe gerne zu, dass der Anschlag beschleunigt hat, was ohnehin in mir gegärt hat. Und jetzt, wenn wir schon so intim werden, fühle ich mich nachgerade befreit. Lassen Sie es mich so sagen: Ich fühle mich an nichts mehr gebunden außer an das, was offensichtlich ist.«
    »Und das wäre?«
    »Dass es unendlich viel einfacher ist, einen Anschlag mit dem Koran zu rechtfertigen als zu verurteilen. Und dass, wenn man genau hinsieht, die meisten Muslime das sehr genau wissen und damit kein Problem haben.«
    »Haben Sie darum die Liste angefertigt, die Sie mir zugeschickt haben?«
    »Würden Sie nicht wissen wollen, wer es alles gut gefunden hätte, wenn Sie in Stücke gerissen worden wären?«
    »Doch, in der Tat.«
    »Gut, dann lassen Sie uns zur Sache kommen. Ich hab keine Lust und keine Zeit, mich mit Salongequatsche zu beschäftigen. Dafür weiß ich zu viel.«
    »Was wollen Sie damit andeuten?«
    »Korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege. Aber wenn ich das

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