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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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Ergebnisse liefern konnten, weshalb er darauf gedrungen hatte, einen einzuschalten. Er erinnerte sich, wie ein Linguist einmal herausgehört hatte, dass ein Deutsch-Türke, der in einem Terrorvideo aus Waziristan nur ein paar Sätze auf Deutsch gestammelt hatte, vermutlich in Südniedersachsen aufgewachsen war. Das hatte ihnen damals ein entscheidendes Puzzlestück geliefert. Aber diese Fachleute brauchten Zeit. Sie saßen an irgendwelchen verschlafenen Universitäten, berechneten 8000 Euro für ein Gutachten und spürten keinen heißen Atem in ihrem Nacken. Anders als Ansgar Dengelow.
    Als er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, rief Dengelow reihum alle Ermittler an, die mit laufenden Tests befasst waren, um mögliche Fortschritte frühzeitig in Erfahrung zu bringen. Es gab keine.
    Zur Sicherheit fragte er auch noch nach, ob sich eventuell ein besorgtes Familienmitglied an die Telefonhotline des Amtes gewandt hatte, weil Ahmed oder Mohammed seit ein paar Tagen nicht mehr aufgetaucht waren. Das war nicht der Fall.
    Noch eine Stunde bis zum Treffen mit dem Präsidenten.
    Plötzlich bemerkte Dengelow, dass er das Handy in der Hand hielt, über das er mit Munir kommunizierte. Schon in der vergangenen Nacht hatte er mit dem Gedanken gespielt, seinen V-Mann zu kontaktieren. Vielleicht hatte der mittlerweile etwas in Erfahrung gebracht? Schließlich war er ein Spitzen-Zuträger. Aber Dengelow hatte der Versuchung widerstanden. Es wäre ein Bruch der ungeschriebenen Regeln gewesen. V-Männer melden sich von sich aus, außer man hat einen neuen Auftrag für sie. Setzte man sie unter Druck, lieferten sie im besten Fall Geraune und im schlimmsten Fall unüberprüfbaren Blödsinn, um ihre Zuwendungen nicht zu gefährden.
    Er wollte das Handy gerade wieder in seiner Jacketttasche verschwinden lassen, als er spürte, wie es vibrierte: eine SMS von Munir. Dengelow öffnete sie, so schnell er konnte.
    »Ich höre, es soll ein Konvertit gewesen sein.«
    Dengelow zwang sich, ruhig zu bleiben. »Aber der Mann auf dem Video ist Araber«, schrieb er zurück.
    Nach zwei Minuten antwortete Munir. »Ja.«
    Also waren es mindestens zwei Täter gewesen. Wenn Munir recht hatte. Und einer von ihnen ein Konvertit? Ja, das würde passen. Dieses Muster hatte es schon mehrfach gegeben, zum Beispiel, wie er sich zu erinnern meinte, in Großbritannien: Ein in der Wolle gefärbter Dschihadist, gerne mit Kampferfahrung im Irak oder Afghanistan, züchtet sich einen oder mehrere einfach zu beeinflussende Konvertiten heran, die er Schritt für Schritt zu Attentätern ausbildet. Er selbst bleibt der Mann im Hintergrund und verwirklicht sich so seinen Traum von der eigenen kleinen Terrorzelle.
    »Dranbleiben, unbedingt!«, schrieb Dengelow zurück. Dann raffte er ein paar Unterlagen für das Treffen mit dem Präsidenten zusammen.
    ***
    Samson schaffte es rechtzeitig zu dem Treffen in Potsdam. Zu diesem und ebenso zu allen weiteren Treffen, zu denen er in der Folge gebeten wurde. Niemand stellte ihn förmlich vor, als er das erste Mal dazustieß. Es schien allen zu genügen, dass er den Treffpunkt kannte. Ein kurzer Händedruck, ein verschwörerisches Lächeln im Vorbeigehen, das war alles. Aber auf diese Art lernte er bald immerhin die Tarnnamen der Mitglieder des Kommandos kennen. »Hallo, ich bin Chevalier !« – »Ich bin Pippin , freut mich.« Nach wenigen Tagen erschien ihm sein eigener Deckname schon ebenso vertraut wie jene Identitäten, die er teilweise seit Jahren in dschihadistischen Internetforen verwendete. Nein, er erschien ihm sogar noch vertrauter, wenn er ehrlich war. Weil er ihn nicht bloß auf einem Bildschirm las, sondern stattdessen hörte, wie er ausgesprochen wurde. Von echten, lebenden Menschen aus Fleisch und Blut.
    Das Kommando Karl Martell fand fast an jedem Abend zusammen, wie er schnell feststellte. Und fast immer waren sie dabei zu neunt, ihn selbst eingeschlossen. Nichts deutete darauf hin, dass der Kreis der Verschwörer größer war. Aber es gab zusätzlich unregelmäßige Zusammenkünfte in kleineren Gruppen an denkbar unterschiedlichen Orten, je nachdem, wer einen speziellen Auftrag angenommen hatte, der nun vorbereitet und umgesetzt werden musste.
    Samson hatte gleich zu Beginn signalisiert, dass er viel Zeit hatte und dass niemand ihn zu irgendeiner Tageszeit vermissen würde. Das Kommando machte von seiner Verfügbarkeit dankbar Gebrauch, und die einzelnen Mitglieder hatten keine Scheu, ihn für ihre Aktionen

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