Radikal
Versammlungs- und Konferenzraum Platz zu geben, der mit jeder erdenklichen Technik ausgestattet war, Beamer und Leinwand, Kopierer, mehrere Rechner und WLAN inklusive, und in dessen Ecken drei kleinere und eine größere Sitzecke Platz gefunden hatten, die mit massiven Ohrensesseln bestückt waren.
Im zweiten Stock schließlich, direkt unter dem Dach, lagen drei Schlafzimmer, in denen, wer zu Hause keine Legende aufrechtzuerhalten hatte, nach einer Aktion übernachten konnte. Auch Samson machte davon bald sporadisch Gebrauch, weswegen er, nur zur Sicherheit, niemals sein Notizbuch nach Potsdam mitnahm, in dem er leidlich codiert notierte, was er in Erfahrung brachte.
Nur dass das nicht allzu viel war.
Jedenfalls wenn es darum ging, und darum ging es ja, den Mord an Lutfi Latif aufzuklären. War das hier wirklich der Nukleus einer militanten Organisation, die schon einen Massenmord auf dem Gewissen hatte? War der dicke Chevalier , der, wie er Samson bei einem Treffen leutselig erzählt hatte, einen Laden für Military-Bekleidung im Wedding führte, ein Terrorist? Plante Renatus , der auf einer Privatdozentenstelle gescheiterte Politologe, im Kopf schon das nächste Massaker? Konnte Missy , die an einem der lauen Sommerabende, die Samson in Potsdam verbrachte, in einem überraschenden Anflug von guter Laune und Mütterlichkeit für alle Anwesenden in der Edelküche im Erdgeschoss Pasta Arrabiata kochte, auch Sprengstoff kochen?
Er wusste es nicht. Noch nicht. Aber es gab zumindest keinenGrund daran zu zweifeln, dass das Kommando Karl Martell eine veritable Versammlung von Verschwörern war, die jeder für sich und alle gemeinsam der Überzeugung waren, Teil eines Heiligen Krieges zu sein. Die wie befreit wirkten, weil sie endlich, endlich die Schwelle vom passiven Opfer zum im Verborgenen wirkenden Widerstandskämpfer überschritten hatten. » Verdammt , das tut so gut!«, hatte Renatus ihm nach der Aktion am Columbiadamm glücklich strahlend gesagt. »Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten, genau zu wissen, was eigentlich zu tun ist, aber mich immer hinter irgendwelchen Ausreden zu verstecken. Verstehst du?«
Pippin verstand und strahlte zurück.
Und Samson verstand auch. Denn Renatus trug denselben Ausdruck im Gesicht wie Humam al-Balawi: die entrückte Glückseligkeit dessen, der zur Tat schreitet. Aber al-Balawis Ziel war es gewesen, zu töten. Galt das für Renatus und Chevalier , Missy und Widukind , Matthäus , Peacemaker , Q und den stillen Ricardo auch?
Bei allen Aktionen des Kommandos, von denen er bislang wusste oder bei denen er sogar mitgemacht hatte, war niemand verletzt oder getötet worden. In seiner Anwesenheit, nunmehr immerhin schon zwei Wochen, war zudem weder der Tod von Lutfi Latif thematisiert worden, noch die Gewaltfrage grundsätzlich diskutiert worden. Nüchtern betrachtet hatte er es bis jetzt mit einer Gruppe Radikaler zu tun, die Gewalt gegen Sachen ausübten. War das am Ende schon alles? Oder war es nur für den Moment alles, und er beobachtete eine Terrorgruppe in ihrer Frühphase? Oder bekam er nur noch nicht alles mit?
Je länger er dabei war, desto mehr vermutete er Letzteres. Immer deutlicher glaubte er eine Art unsichtbare Grenze innerhalb des Kommandos wahrzunehmen. Da waren auf der einen Seite die rastlosen Aktivisten, die nahezu jede zweite Nacht irgendeine Aktion durchführten. Denen es immer um die einzelne, nächste Tat ging, sei sie noch so klein, noch so symbolisch. Es fehlten neue Aufkleber? Sofort meldet Matthäus sich freiwillig! Eine junge Lehrerin aus Hamburg, Salonmitglied der ersten Stunde, die von den Ahmets und Alis und Hasnains in ihrer Klasse die Schnauze voll hat, weil Ahmet ihr Prügel angedroht hatte, hat einen zwar anonymen, dafür aber äußerst eloquenten Brandbrief über das Einknicken der Kollegien vor der offensichtlich islamisch legitimierten Deutschenfeindlichkeit verfasst – und dieser Brief muss jetzt abgetippt, kopiert und weiterverbreitet werden? Q ist schon dabei! Jemand muss neues Schweineblut in Köpenick abholen? Peacemaker sattelt schon den Pick-up-Truck!
Widukind mochte per Kopfnicken sein Einverständnis zu diesen Aktionen signalisieren. Aber Samson, der ihn dabei beobachtete, meinte noch etwas anderes im Blick des Staatssekretärs registrieren zu können: den leicht verwunderten, etwas abschätzigen Blick, den der Feldherr auf seine Infanteristen wirft. Der Blick des Generals, der weiß, dass eine Schlacht ja doch nicht der
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