Radikal
ausging, aber er hätte nicht gewusst, wie er mit ihr reden sollte. Und im Stillen, fast beschwörend, hielt er sich an dem einen Satz fest, an den er nun fester glaubte als je zuvor: Dass der Koran nicht der Islam ist und der Islam nicht die Muslime; dass Islam die Summe dessen ist, was Muslime glauben und tun, und dass die meisten von ihnen gar nichts tun, was irgendwie problematisch wäre.
»Sehen Sie«, erläuterte Widukind derweil sein Gedankengebäude, »der Islam ist eine wirklich formidable Ideologie. Als Religion interessiert er mich im Grunde gar nicht. Aber er ist ein sehr gefährliches Werkzeug, um das Abendland herauszufordern. Brandgefährlich. Der Kommunismus war nichts dagegen. Gar nichts.«
»Und warum?«
»Weil der Kommunismus eine unerprobte Ideologie ist. Er hat kein Ideal in der Geschichte, auf das er verweisen könnte. Der Islam schon. Alles, was diese Menschen wollen, gab es ja schon einmal. Und sie wollen es zurück. Das ist ein sehr mächtiger Antrieb.«
»Und Sie? Was wollen Sie?«, fragte er Widukind .
»Reinheit«, antwortete Widukind . »Klarheit. Ich will meineSicht auf die Welt nicht über den gesamten Erdball verbreiten, wie die Mohammedaner es seit 1400 Jahren zu tun versuchen. Aber ich leiste Widerstand dagegen, dass alles, woran ich glaube, unser geistiges Erbe, schleichend ausgehöhlt, verwässert, diskreditiert und vereinnahmt wird. Wir sind nicht alle gleich. Wir sitzen nicht alle im selben Boot. Wir brauchen uns nicht alle die Hände zu reichen. Wir müssen nicht einmal alle miteinander reden. Ich höre immer nur Dialog. Ich will keinen Dialog. Es gibt Werte, über die kann es keinen Dialog geben. Karl Martell hat die Araber auch nicht durch Dialog aufgehalten. Jetzt ist es wieder so weit, nur dass die Methoden andere sind. Und wir müssen jetzt der Wall sein, der unsere Zivilisation schützt.«
»Ein Wall?«
»Ja, ein Wall. Wir müssen uns verteidigen. Die Zugbrücke hochziehen. Aber es gibt noch eine zweite Aufgabe. Wir müssen die, die schon hier sind, hinausekeln. Jede Moschee, jedes Minarett, jede Burka in unseren Straßen ist eine Verhöhnung unserer Werte, die wir uns nicht bieten lassen dürfen. Wo heute gebetet wird, werden morgen Hände abgeschlagen! Nein, wir müssen uns schützen, wir müssen sie schwächen, in Angst versetzen, wir müssen sie rausekeln, und wenn uns das gelungen sein wird, dann wird man das Kommando Karl Martell in einigen Jahrzehnten auch als das zu würdigen wissen, was es ist.«
Samson betrachtete Missy und Renatus , die entrückt nickten, und es war klar, dass sie Widukind verfallen waren.
»Wer sind die special forces , und welche Rolle kommt ihnen zu?«, fragte Samson in der Hoffnung, dass die Gelegenheit günstig sei.
Doch Widukinds blaue Augen blickten ihn skeptisch an. »Für solche Fragen, Pippin , ist es noch ein bisschen zu früh.«
***
Am liebsten wäre Sumaya zu ihrer Tante Lubna gefahren. Ein Flug nach Amman, eine Taxifahrt zur Grenze, das übliche fünfstündige Verhör, eine weitere Taxifahrt nach Ramallah, und schon könnte sie sich endlich fallen lassen, sich ausheulen und sich bemuttern lassen.
Sie sah ihre Tante vor sich, die blaurot gemusterte Schürze umgebunden, die Hände in eine riesige Plastikschale vertieft, in der sie den Teig knetete für die Mana’isch am Freitagmorgen. Sie würde sie in den Arm nehmen, und Sumaya würde nichts sagen müssen. Sie würde einfach zuschauen, wie ihre Tante mit dem Handteller und den Fingerspitzen Fladen formte, wie sie sorgsam Öl und Sa’tar darauf träufelte oder weißen Käse. Habibti, Susu!, würde sie sagen und ihr auf dem Weg zu dem riesigen Herd sanft über den Kopf streichen. Sie würden gemeinsam zuschauen, wie die Mana’isch vor sich hin buken.
Nach einer Weile würde ihre Tante das Gebäck aus dem Ofen nehmen, die schönsten Teile in einer Schale stapeln und sie anlächeln und mit dem Kopf Richtung Gartentür deuten. Sumaya würde die Tür öffnen, und dann würden sie beide sich in die alte und quietschende Hollywoodschaukel setzen, die zwischen zwei dicken Olivenbäumen stand, und in das Tal blicken, wo viele weitere Tausend Olivenbäume standen, tief verwurzelt in der rotbraunen Erde, und sie würden beide die israelische Siedlung zur Rechten mit ihren eckigen, modernen Häusern einfach ausblenden und den Blick genießen und Tee mit richtiger Minze trinken und Mana’isch essen, während alle anderen im Haus, ihre Cousins und Cousinen, noch schliefen.
Und
Weitere Kostenlose Bücher