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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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Gesicht geheftet, und schüttelte langsam den Kopf. Sosehr sie sich auch anstrengte, es ließ sich kein Gedanke formen, schon gar kein Satz. Sie konnte noch nicht einmal die Gefühle benennen, von denen sie überflutet wurde, jedenfalls nicht alle, einige dafür durchaus. Schmerz zum Beispiel. Und Angst. Hilflosigkeit.
    Fadi setzte sich ihr gegenüber. Er versuchte, nach ihren Händen zu greifen, aber Sumaya wehrte ab. War sie naiv gewesen?
    Aber er kann doch nicht zusehen, wie eine Moschee angezündet wird!
    Susu, du weißt genau, dass er das sogar muss.
    Nein.
    Doch!
    Sie warf einen erneuten Blick auf das Bild. Kein Zweifel, dass der vermummte Mann Samuel war. Sie sah die breiten Schultern und erinnerte sich daran, wie sehr sie ihn begehrt hatte in jener Nacht nach dem Mord an Lutfi Latif, als er bei ihr übernachtet hatte. Sie hatte ihn auf die Schlafcouch geschickt und war selbst in ihr eigenes Bett gegangen. Aber sie hatte nicht einschlafen können. Sie hatte an ihn gedacht. An seine Beichte, an die Last, die er mit sich herumschleppte, an seine guten Absichten, seine so offensichtliche wieabsichtsvoll verborgene Sehnsucht nach Liebe, seine Schultern, seine großen Hände. Sie hatte es nicht ausgehalten. Und nach einer Stunde war sie zu ihm herübergegangen, halb in der Hoffnung und halb in Angst, dass er noch wach wäre. Aber er hatte schon geschlafen. Also hatte sie sich neben ihn auf den Boden gelegt, hatte nach seiner Hand gesucht, sie gefunden, gehalten und sogar gedrückt, aber er war nicht aufgewacht. Sie hatte sein Haar gestreichelt, aber er war nicht aufgewacht. Sie hatte überlegt, ob sie ihn wecken sollte, aber was hätte sie sagen sollen? Sie hatte sich extra laut bewegt, aber er hatte nicht einmal gezuckt. Sie hatte überlegt, sich neben ihn zu legen, aber sich nicht getraut, obwohl es das war, was sie eigentlich wollte, neben ihm liegen, von seinen Armen umfangen, und dann, vielleicht. Aber sie hatte es nicht gewagt und ihn stattdessen beobachtet, bis sie schließlich selbst eingeschlafen war. Und dann war alles so schnell gegangen und nun waren über zwei Wochen verstrichen, und er meldete sich nicht, und das Erste, was sie von ihm mitbekam, war ausgerechnet, dass er mitgeholfen hatte, eine Moschee anzuzünden.
    Sie sah das Bild, sah Samuels erschrockenen Gesichtsausdruck, konnte ihren Blick immer noch nicht lösen und hoffte inständig, dass sie dieses Bild irgendwann, wenn alles vorbei wäre, irgendwann, wieder vergessen können würde, aber da war es wieder: das Gefühl der Angst. Angst, dass genau das unmöglich sein könnte.
    »Susu!«, sagte Fadi sanft.
    »Nicht jetzt«, antwortete sie schroff.
    Sei sachlich, Sumaya! Du vertraust ihm, oder etwa nicht?
    Ja, ich glaube schon.
    Na also. Dann war es eben notwendig.
    Aber wo ist die Grenze?
    Er wird es wissen.
    Ja. Er wird es wissen.
    »Susu!«, unterbrach Fadi erneut ihr stilles Selbstgespräch.
    »Ja.«
    »Susu, wieso bringst du einen Typen in mein Internetcafé, der Moscheen abfackelt?«
    »Du kannst dieses Bild nicht der Polizei geben.«
    »Warum nicht? Du hast selbst gesagt, dass ich genau das tun soll.«
    » Ibn Ammi , Cousin, ich sage dir jetzt etwas, das du für dich behalten musst.«
    »Ich höre zu.«
    »Bring mir etwas zu trinken, bitte. Dann erzähle ich dir alles.«
    Fadi lief zu dem gläsernen Kühlschrank und brachte ihr eine Fanta, und Sumaya begann zu berichten: vom wahren Umfang der Drohbotschaften gegen Lutfi Latif. Wie sie sich, auf dessen Wunsch, auf die Suche nach einem unabhängigen Sicherheitsberater begeben hatte und auf Samuel Sonntag gestoßen war. Wie sie sich mit ihm im Prater im Prenzlauer Berg getroffen und ihn offiziell angeheuert hatte. Sie schilderte die Begegnung mit Ansgar Dengelow im Büro des Abgeordneten, Samuels Treffen mit Kai, die diversen Hinweise auf das Kommando Karl Martell, die unklare Rolle von Cord Munkelmann und seiner Schwester. Sie gab den Inhalt des hinterlassenen Briefes von Lutfi Latif wieder und endete mit Samuels Ankündigung, das Kommando Karl Martell zu infiltrieren.
    »Und das ist genau das, was er gerade macht. Seit etwas über zwei Wochen. Er ist drin , Fadi, und er versucht herauszufinden, wer Lutfi umgebracht hat!«
    Doch während sie Bericht erstattete, hatte sie im Gesicht ihres Cousins ablesen können, wie jede ihrer Information für ihn nur Dutzende neuer Fragen aufwarf. Sie kannte Fadi. Kannte ihn gut genug, um zu ahnen, dass alles, was sie ihm über Samuel mitteilte, nichts als

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