Radikal
Zweifel bei ihm auslöste. Dass ihr Cousin vermutlich glauben würde, sie sei das ahnungslose Opfer einer finsteren Verschwörung.
Dass er keineswegs überzeugt war.
»Fadi, Habibi , es ist, wie ich es sage«, sagte sie leise. »Du kannst mit dem Bild nicht zur Polizei gehen. Es würde alles kaputt machen!«
»Bukra« , antwortete Fadi tonlos. Morgen .
Ihr Cousin wollte die Entscheidung auf den nächsten Tag verschieben. Er sah unfassbar müde aus.
» Nein , Fadi! Heute nicht, morgen nicht, und übermorgen auch nicht – du gehst mit diesem Bild nicht zur Polizei, verstanden ?!«
»O. k., Susu , o. k.«
***
Die von Widukind verkündete Festnahme des Wilmersdorfer Imams hatte Wellen geschlagen. Im Radio hatte Samson gehört, dass sich am Tag nach der Festnahme Dutzende wütender Muslime zu einer Demonstration zusammengefunden hatten. Es waren vor allem junge Männer, und sie waren wirklich wütend; als die Polizei kam, um die ungenehmigte Kundgebung aufzulösen, waren Steine geflogen. »Muslim-Unruhen«, schrieb ArgusOnline . Ein Polizist war verletzt worden.
Samson passte Widukind ab, als dieser gerade den Konferenzraum in der Potsdamer Zentrale des Kommandos Karl Martell durchquerte, und gratulierte ihm. Trotz der Hitze trug Widukind eines seiner Manschettenhemden zu einer leichten grauen Anzughose. Nur auf ein Jackett hatte er verzichtet.
»Ja, das war eine gute Aktion«, sagte er.
»Kann ich kurz mit Ihnen reden?«, fragte Samson und deutete auf den Balkon, der vom Konferenzraum abging.
»Ja, in Ordnung.«
Auf dem Balkon bot sich ihnen ein idyllischer Blick auf den See. Weiden säumten das Ufer, das Wasser glitzerte in der Morgensonne. Es war viel blauer, als Samson es erwartet hätte. Widukind steuerte auf die Brüstung zu und streckte die Beine durch, wie um einen Rest Müdigkeit zu verscheuchen.
Samson spürte seiner eigenen aufsteigenden Nervosität nach. Sollte er wirklich so weit gehen, wie er es sich in der vergangenen Nacht überlegt hatte? Er musste. Ohne Sinns Vertrauen würde er nie erfahren, was die wahren Geheimnisse des Kommandos waren. Und Sinn, das war seit dem Vorabend klar, traute ihm noch nicht. Jedenfalls noch nicht so sehr, wie es nötig war.
»Nun, Pippin ?«
»Der Kinderficker-Imam …«
»Ja?«
»Sie wissen, dass er als Mitglied des Runden Tisches vorgesehen war, oder?«
»Natürlich. Das macht die Operation ja so besonders schön.«
Samson räusperte sich. »Was, wenn man den gesamten Runden Tisch abschießen könnte?«
Widukind blickte weiter auf den See hinaus, sodass Samson seinGesicht nicht erkennen konnte. Nach einer kleinen Ewigkeit wandte er sich ihm schließlich zu. Der Staatssekretär lächelte. »Das, mein lieber Pippin , ist eine sehr gute Idee. Kriegen Sie das denn hin?«
»Ich wüsste schon, wo ich anfangen könnte zu suchen.«
» Pippin , wenn Sie sich das vornehmen, dann sollten Sie nicht suchen, sondern finden , das ist doch wohl klar, oder?«
»Klar.«
»Also dann, halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Selbstverständlich.«
Mit federndem Schritt, als habe ihn seine kleine Streckübung belebt, ging Widukind wieder ins Innere. Sekunden später hörte Samson, wie er die Treppe hinunterstieg, die Zentrale verließ, die Haustür ins Schloss fallen ließ und zu Fuß Richtung Hauptstraße lief.
Als Sinn aus seinem Blickfeld verschwunden war, ging Samson in die Küche im Erdgeschoss und bereitete sich an der sündhaft teuren Kaffeemaschine, die aussah wie aus einem italienischen Café entführt, einen dreifachen Espresso. Dann griff er sich einen der Laptops, die zur allgemeinen Verfügung herumstanden, und ging wieder hinaus auf den Balkon.
Der Runde Tisch war ein Prestigeobjekt der neuen Regierung. In gewisser Weise war er sogar ein Erbe Lutfi Latifs. Die Grünen hatten im Zuge der Regierungsbildung durchgesetzt, dass es eine Wiederbelebung der im Sande verlaufenen Islamkonferenz unter neuen Vorzeichen geben würde. »Aber offener, freundlicher und mit mehr Respekt für die Unterschiede, die es ja erst einmal zu verstehen und anschließend so weit möglich zu überbrücken gilt«, wie die grüne Fraktionsvorsitzende stolz verkündet hatte, von der Lutfi Latif, wie Samson von Merle wusste, freilich nicht allzu viel gehalten hatte. Erst wenige Tage zuvor war die Liste der eingeladenen »Dialogpartner« bekannt gegeben worden, wie er dem Spiegel entnommen hatte, den er während einer seiner S-Bahn-Fahrten nach Potsdam gelesen hatte.
Samson
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