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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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worden.
    Unmittelbar davor hatte ein grinsender Polizeibeamter ohne besondere Merkmale sein Diktiergerät aus dem Auto geworfen.
    Unmittelbar davor war er festgenommen worden.
    Das war jetzt mehr als 24 Stunden her. Die Nacht war lang gewesen. Er hatte nicht geschlafen.
    Er hatte nachgedacht.
    Mehr als das. Er hatte alles hin- und hergewälzt.
    Wirklich alles.
    Bis es passte.
    Und dann hatte er die Wahrscheinlichkeiten und Gewissheiten neu gewichtet.
    Und das Kartenhaus fiel wieder in sich zusammen.
    Dann hatte er von vorne begonnen.
    Hatte versucht sich zu erinnern, an Dinge, an die zu erinnern er sich jahrelang untersagt hatte.
    Wie viel war noch da an Erinnerungen? Konnte er sich selbst trauen?
    Und was war mit den Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit? Wen hatte er getroffen? Wer hatte was genau gesagt, und wann?
    Er musste es herausbekommen.
    Es musste eine Gleichung geben, die aufging.
    Er lief auf und ab.
    Und wenn es so war?
    Und wenn es so war?
    Das konnte einfach nicht sein!
    Und was, wenn doch?
    Ja, was dann?
    Das Fenster war aus Milchglas und vergittert. Aber er konnte es immerhin erahnen, als es draußen allmählich dunkel wurde. Draußen . Er klang in seinen eigenen Gedanken schon wie ein Knacki.
    Er legte sich auf das Bett, ohne sich auszuziehen. Wenn er sich auszog, würde das bedeuten, dass er seine Gegenwart hier akzeptierte.
    Er dachte alle Gedanken, die er gedacht hatte, noch einmal. Dann von allem das Gegenteil. Es musste irgendwie aufgehen.
    Es musste.
    Sonst wäre er nicht hier.
    Es musste.
    Und dann, als es draußen schon wieder zu dämmern begann, passte auf einmal alles zusammen.
    Kurz darauf hatten sie an seine Tür geklopft, um ihn zu wecken. Aber er war ja schon wach. Noch wach. Er wusch sich in dem winzigen Waschbecken das Gesicht.
    6 Uhr 45: Frühstück.
    Graubrot, Marmelade, Margarine, Tee.
    »Keine Sorge, Herr Sonntag, alles halal oder wie das heißt.«
    Er hatte keine Ahnung, was er mit der Gleichung anfangen sollte.
    Als er fertig gegessen hatte, womit er wiederum kaum mehr als fünf Minuten herumbrachte, war er erneut auf und ab gelaufen.
    Was sollte er tun? Was konnte er tun?
    Er hatte Angst. Und er war sich sicher, dass sie begründet war.
    Dann: Wieder ein Klopfen.
    Eine Stimme durch eine Metalltür.
    »Herr Sonntag, an der Pforte wartet ein Anwalt, der gerne mit Ihnen sprechen würde. Möchten Sie ihn empfangen?«
    »Ein Anwalt?«
    »Ja, ein Herr Simon Utrecht.«
    Und nach einer halben Minute: »Herr Sonntag?«
    »Ja, ich würde ihn gerne sprechen.«
    Samson lächelte auf dem Weg in das Besprechungszimmer, in das ihn der Vollzugsbeamte führte. In der Simon-von-Utrecht-Straße in Hamburg hatten er und Kai sich eine Wohnung geteilt.
    Kai hatte sich wieder in einen Anzug gequetscht und zusätzlich eine Hornbrille sowie eine lederne Aktentasche aufgetrieben, von der Samson sicher war, dass es nicht seine war. Sie saßen sich an einem weiß lackierten Anstaltstisch gegenüber. Samson hätte Kai gerne umarmt. Er wusste, dass das nicht ging.
    »Samson«, sagte Kai als Erstes, »ich riskiere hier mehr als nur meinen Arsch, ich kann das hier genau einmal machen, und auch das nur mit viel Glück, o.   k. ? Wir haben eine Stunde, danach schickst du mich weg, in Ordnung?«
    »O.   k.«
    »Erzähl mir alles.«
    An der Wand über Kais Kopf hing eine große, analoge Uhr. Es dauerte fünfzehn Minuten, bis Samson rekapituliert hatte, wie er das Kommando Karl Martell infiltriert hatte.
    »Sinn, der Baron, der Erbe und Gisela Munkelmann haben dir gegenüber also zugegeben, dass das Kommando Lutfi Latif und dreizehn andere Menschen getötet hat?«
    »Ja. Ich habe es sogar heimlich aufgenommen.«
    » Fuck , du hast es auf Band?«
    »Nicht mehr.«
    Samson berichtete Kai von dem Beamten im Polizeiwagen.
    »Du hast es nicht kopiert, gesichert oder so was?«
    »Nein.«
    »Bist du bescheuert?«
    »Kai, ich war total durch den Wind.«
    »Bist du vernommen worden?«
    »Ja.«
    »Was hast du gesagt? Hast du Sinn und die anderen belastet?«
    »Nein. Natürlich nicht. Ich hab ja keine Ahnung, wer noch mit drinhängt.«
    »Gut. Das war richtig. Ich werde alles überprüfen, das Haus in Potsdam, alles. Aber ich würde mich nicht wundern, wenn dort nichts mehr zu finden ist. Schließlich wussten sie, dass du verhaftet werden würdest, und haben es hinbekommen, das Diktiergerät verschwinden zu lassen, was mir alleine schon eine Gänsehaut macht, wenn ich ehrlich bin.«
    »Ja.«
    »Gut, überlegen wir

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