Radikal
was, wenn Khaldun darüber seinen Glauben verloren hat, aber nicht seine Radikalität? Wenn er nach dem Mord an Khaled wirklich zum Renegaten wurde?«
»Du meinst …«
»Ich meine, dass ich nicht weiß, wer es war. Nein, anders: Ich weiß, wer den Anschlag begangen hat. Ich weiß nur nicht warum und für wen.«
»Samson, das ist …«
»Ich weiß.«
Kai schwieg für einen Moment. »Samson, ich bin kein Strafverteidiger, ich bin nur studierter Jurist.«
»Was willst du mir sagen?«
»Ich glaube, dass es schwer wird, dich hier herauszukriegen. Und damit meine ich nicht die Untersuchungshaft.«
Samson schluckte. Er war am Morgen zu demselben Ergebnis gekommen. Aber er hatte bis zuletzt gehofft, dass er etwas übersehen hatte. Doch das war anscheinend nicht der Fall. Er spürte, wie kalte Panik in ihm hochkroch.
»Samson, wir versuchen alles. Und es gibt da eine Sache, eine kleine Sache, aber vielleicht kann sie dir helfen. Ich hab keine Ahnung, ob wir etwas daraus machen können, aber gestern hat sichauf der anonymen Hotline bei uns jemand gemeldet, der sagt, er sei möglicherweise der, der den Sprengstoff für den Anschlag verkauft hat.«
»Wer ist es?«
»Ich habe keine Ahnung, nur eine anonyme E-Mail. Aber ich versuche, an ihn heranzukommen.«
Samson nickte. An der Uhr konnte er ablesen, dass eine Stunde vergangen war.
»Wem vertraust du, Samson? Wen soll ich einschalten?«
»Sumaya. Und Merle.«
»O. k.«
»Danke, Kai«, flüsterte Samson.
Dann klopfte er mit den Handknöcheln gegen die Metalltür des Besprechungszimmers.
»Der Herr möchte jetzt gehen«, sagte er dem Vollzugsbeamten.
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XII
Es war genau 11 Uhr 32 am Dienstagvormittag, als die bürgerliche Existenz eines gewissen Samuel S. aus Berlin-Friedrichshain bis auf Weiteres ausgelöscht wurde. Zwei Minuten zuvor hatte das Bundeskriminalamt wie von Arno Erlinger angekündigt eine Pressemitteilung herausgegeben, der zufolge Samuel S., 34, deutscher Staatsangehöriger, von Einsatzkräften des LKA Berlin unter dem Verdacht festgenommen worden war, den Sprengstoffanschlag in der Siegfried-Passage verübt zu haben. Er habe keinen Widerstand geleistet und werde nun in der JVA Moabit vernommen.
Merle Schwalb wusste, dass die Pressemitteilung der Startschuss sein würde. Dass Erlinger ein paar Dutzend Meter Luftlinie entfernt von ihr in seinem eigenen Büro in diesem Moment zum Hörer gegriffen haben würde, um den Diensthabenden bei GlobusOnline anzurufen – JETZT ! –, und dann war es nur noch eine Sache von ein paar Mausklicks gewesen, zwei Minuten, so lange brauchte das Redaktionssystem, um den vorproduzierten Text hochzuladen, und da stand er jetzt, ganz oben auf der Homepage: » DER TARNKAPPEN - BOMBER «, von Arno Erlinger, Frederick Rieffen und Lars Kampen, in riesigen Lettern, in gediegenem Nachtblau, das die Leitfarbe des Globus war.
Wenigstens hatte sie verhindern können, dass ihr Name ebenfalls in der Autorenzeile genannt wurde, obwohl es bei den Onlinern Nachfragen gegeben hatte: Wieso denn nicht? Bist du sicher? Du hast doch auch mitgeschrieben, Merle? Nein. Ich habe nicht mitgeschrieben. Das stimmte zwar, technisch gesehen, aber es änderte nichts, also sagte sie es auch nicht, sondern wiederholte bloß, dass sie ja fast gar nichts beigetragen hatte. Ist schon in Ordnung so.
Fast gar nichts beigetragen.
Blödsinn.
Sie blickte auf ihren Monitor und betrachtete das Foto unter der Überschrift: Samson in kompletter Tauchmontur. An einem Sommertag vor vier Jahren in Rerik. Vor einem Tauchgang. Foto: privat , stand in Winzbuchstaben am rechten, unteren Bildrand. Was in diesem Fall hieß: aufgenommen von Merle Schwalb.
»Haben Sie denn keins, wo man sein Gesicht drauf erkennen kann?«, hatte Erlinger genervt gefragt.
»Nein, habe ich nicht«, hatte sie gelogen. »Seien Sie froh, dass ich dieses noch gefunden habe, ich hatte gedacht, dass ich alle verbrannt habe.«
Erlinger hatte die Geschichte geschickt konstruiert. Sie war ziemlich kurz. Aber sie ließ keinen Zweifel daran, dass der Globus schon jede Menge Informationen über den Fall und den Attentäter gesammelt hatte, als die Konkurrenz noch völlig ahnungslos gewesen war. Der Artikel informierte die Leser, dass es sich bei Samuel S. »nach Einschätzung des BKA um den weltweit ersten Fall eines sogenannten Tarnkappen-Konvertiten« handelte, der vermutlich sogar schon vor dem 11. September 2001 von al-Qaida für eine spätere Verwendung rekrutiert worden sei.
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