Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
Vom Netzwerk:
Anschlag gegeben hat. Vermutlich werden sie den Verdächtigen als Samuel S. identifizieren. Im Moment sind wir die Einzigen, die den vollen Namen und die ersten Details kennen.«
    »Heute ist Montag«, sagte das dritte Geschlecht nachdenklich. »Wir werden es online machen müssen. Erlinger, Sie bereiten bitte eine ausführliche Meldung vor, für die Sekunde, in der das BKA seine Pressemitteilung rausgibt. Mit so viel Hintergrund wie nötig, aber nicht so viel, dass wir fürs gedruckte Magazin nichts mehr übrig haben.«
    »Klar.«
    »Sie können auf alle anwesenden Kollegen zugreifen, aber auf keine weiteren. Ich verlange von allen Anwesenden absolute Verschwiegenheit. Und damit meine ich absolut. Wer redet, fliegt.«
    »Mit Verlaub, ich halte das für einen Fehler. Wir sollten lieber herauszufinden versuchen, wer es wirklich war«, warf Merle Schwalb ein.
    »Frau Schwalb, wir können das nicht nicht machen«, antwortete das dritte Geschlecht. »Das BKA glaubt, dass es den Täter gefasst hat, und wir haben einen Vorsprung vor der Konkurrenz. Natürlich werden wir das melden und weiter verfolgen. Mit der gebotenen Skepsis und in Einklang mit den geltenden Regeln der Verdachtsberichterstattung.«
    »Aber er war es nicht, und wenn wir jetzt ausführlich über ihn als mutmaßlichen Massenmörder schreiben, ruinieren wir sein Leben. Haben sie daran mal gedacht?«
    Erlinger beugte sich erneut vor. »Ich glaube, sie verwechseln da was. Es ist nicht unsere Schuld, wenn sich jemand in so eine Situation bringt. Wir sind nicht die Krankheit, wir sind auch nicht die Heilung und schon gar nicht der Arzt. Wir sind nur das Fieberthermometer. Wir berichten .«
    »Aber unser Vorsprung ist doch in Wahrheit, dass wir wissen, dass das BKA irgendwo Mist gebaut hat! Samuel Sonntag hat mit diesem Anschlag nichts zu tun!«
    »Und was, wenn doch , Schwälbchen?«, warf Erlinger ein.
    » Schwalb . Ich heiße Schwalb . Ich glaube, Erlinger, Sie haben es noch nicht ein einziges Mal richtig gesagt.«
    »Das ist doch jetzt nicht der Punkt. Sondern dass Sie nicht objektiv sind!«
    »Aber …«
    »Frau Schwalb, ich denke, Erlinger hat recht, Sie sind nicht objektiv.«
    »Entschuldigen Sie bitte, aber …«
    »Frau Schwalb, danke , dass Sie gekommen sind. Aber die Diskussion ist vorbei. Sie können jetzt entweder mithelfen, was ich sehr begrüßen würde. Oder sie können morgen früh nach Christchurchfliegen, da gab es ein Erdbeben, wenn ich mich nicht irre, armes Neuseeland, immer wieder bebt es da, das könnte ich mir auch sehr gut für die nächste Ausgabe vorstellen.«
    Drei Minuten später saß Merle Schwalb wieder in ihrem Büro mit dem trostlosen Blick auf ein Kieselbeet im Innenhof des Globus – Gebäudes. Sie hatte ihren Zellennachbarn Kaiser um eine Zigarette gebeten. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Was sie tun konnte. Die Gewissheit, dass Samson in 24 Stunden der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen werden würde, trieb ihr Tränen der Wut in die Augen. Wieso hatte Henk nichts gesagt? Sie erinnerte sich an ihr Gespräch. Beim Globus ist alles immer Entweder-oder. Sie wusste nicht, wie sie noch länger beim Globus arbeiten konnte. Sollte sie heute noch kündigen, jetzt sofort?
    Ihr Telefon klingelte, doch sie ignorierte es.
    Es klingelte erneut.
    Sie drückte die Zigarette aus und nahm ab.
    »Jetzt, Merle«, sagte Henk Lauter. »Jetzt ist der Zeitpunkt.«
    »Was meinst du?«
    »Lass sie ihre Geschichte schreiben. Wir schreiben unsere. Wir sagen es niemandem. Aber wenn wir Samsons Unschuld beweisen können, wird das dritte Geschlecht sie bringen.«
    »Du und ich?«
    »Weißt du noch jemanden?«
    »Vielleicht«, sagte Merle Schwalb und legte auf.
    Dann wählte sie die Nummer von Frederick Rieffen.
    ***
    So läuft das also, dachte Sumaya. So fühlt sich das an. Sie war sich zuerst nicht sicher gewesen, kein Wunder, es gab ja sowieso praktisch nichts mehr, worüber sie sich sicher sein konnte. Verfolgte der Mann sie wirklich – oder war es nur Zufall, dass er erst in der U-Bahn ihr gegenübergesessen hatte und dann, in dem türkischen Supermarkt, in dem sie, um überhaupt irgendetwas zu tun, eine Packung Henna für ihre Haare und ein Päckchen Bulgur gekauft hatte, ebenfalls in der Schlange vor der Kasse stand, mit einem hastig ausdem Regal gegriffenen Stück rosafarbener Seife in seiner Hand? Ein Stück Seife für 29 Cent.
    Vermutlich, hatte sie noch gedacht, darf er nicht so viel ausgeben, die Stadt ist pleite, also müssen

Weitere Kostenlose Bücher