Radikal
man die Akten nicht von Anfang an vernünftig pflegt, dann findet man bald gar nichts mehr, so viel wie hier anfällt.« Dazu ein linkisches Lächeln. »Also dann …«
Abgang.
Erst hatte Sumaya es gar nicht gemerkt. Sie hatte sogar schon beschlossen, dass Cord die Wahrheit sagte. Aber dann war es ihr doch aufgefallen: Auf den Kopien, die Cord ihr anstelle der Originale zurückgegeben hatte, waren wie durch Zufall die Absender nicht mehr zu erkennen. Nur dass sie nicht an einen Zufall glaubte. Sie hätte ihn deswegen ansprechen können. Aber sie tat es nicht. Warum? Warum nicht, Susu? Weil du auch ein Geheimnis haben wolltest? Nein. Du weißt genau, warum du es nicht getan hast:Weil du geglaubt hast, dass es irgendwann vielleicht einmal hilfreich sein könnte, etwas gegen Cord in der Hand zu haben. Das war der Grund, gib es ruhig zu. Und wenn du schon dabei bist: Gib auch gleich zu, dass du dich vermutlich schon angesteckt hast bei diesem seltsamen Spiel, wo man sich umso wichtiger vorkommt, je mehr man weiß.
Natürlich, sie hätte mit Lutfi Latif darüber sprechen können, im Vertrauen, schließlich vertraute sie ihm doch, er hätte Cord sicher nichts davon erzählt. Aber sie hatte es eben nicht getan. Das war es, ihr kleines Geheimnis, das sie eigentlich gar nicht haben wollte, das vielleicht völlig unwichtig war, wie sie sich jetzt einredete, während Cord Munkelmann zwei Räume weiter geräuschvoll seine Aktenmappe abstellte. Aber der Zeitpunkt, an dem sie es Lutfi Latif hätte erzählen können, ohne dass es merkwürdig gewesen wäre, war längst verstrichen.
Wieder meldete sich ihr Magen. Wenn das nur das einzige Geheimnis wäre, die einzige Merkwürdigkeit. Sie dachte erneut zurück an ihre ersten Tage im Büro und die Aufregung um die Drohpost an den Abgeordneten. Direkt nach dem Sicherheitsgespräch mit dem Beamten vom Bundeskriminalamt hatte Lutfi Latif sie zur Seite genommen: »Ich glaube, Sumaya, es ist tatsächlich eine gute Idee, dass wir jemanden bitten, diese ganze Sache für uns mit im Auge zu haben, so wie Herr Dengelow es vorgeschlagen hat.« Dann hatte er ihr den Zettel ausgehändigt, auf dem Dengelow ein paar private Institute und Terrorexperten notiert hatte, die er für geeignet hielt.
»Soll ich mich darum kümmern?«, fragte Sumaya.
»Ja.«
»Gut, ich setze mich gleich dran.«
»Ja, das ist gut, vielen Dank. Aber …«
»Ja?«
»Aber suchen Sie bitte jemanden aus, der nicht auf dieser Liste steht.«
»Der nicht auf der Liste steht?«
»Genau.«
Hätte sie fragen sollen, warum? Nein. Das stand ihr nicht zu, es war allein seine Entscheidung. Und von sich aus bot Lutfi Latif keine Erklärung an. Also hatte sie sich auf die Suche nach einer Alternative gemacht. Immerhin war Lutfi Latif sehr zufrieden gewesen, als sie ihm ein paar Tage später berichtete, dass sie Samuel Sonntag engagiert hatte. Gut gemacht, Sumaya! Er wird seine Gründe haben, hatte sie sich gedacht, und ich bin nur seine Mitarbeiterin.
Aber wie gesagt: Da waren noch mehr Merkwürdigkeiten.
Ein weiteres Gespräch zwischen Tür und Angel, ein Tag später, Cord Munkelmann war gerade zum Mittagessen aus dem Büro gegangen: »Sumaya, ich denke, Sie müssen etwas über Herrn Munkelmann erfahren. Ich wollte es Ihnen ohnehin sagen, aber jetzt ist wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt.«
»Ja?«
»Ich habe ihn mir, anders als Sie, nicht selbst als Mitarbeiter ausgesucht. Die Fraktionsgeschäftsführung hat mich gebeten, ihn einzustellen. Die wollten, dass ich wenigstens eine erfahrene Kraft beschäftige.«
»Was hat er denn vorher gemacht?«
»Er war Referent für Sicherheitspolitik und Nachrichtendienste in der Fraktion.«
»Heißt das, dass Sie ihm nicht trauen? Glauben Sie, dass er für die Globus – Meldung verantwortlich ist?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich habe keinen Grund, ihm zu misstrauen.«
»Aber warum erzählen Sie mir das dann?«
»Weil Sie wissen müssen, dass er der Anstands-Wauwau der Fraktion in diesem Büro ist. Ich gehe davon aus, dass er der Fraktionsführung gelegentlich Bericht erstattet. Das ist im Grunde kein Problem. Sie sollten es nur wissen.«
»Danke.«
Aber warum sollte ich es wissen?
Vielleicht, grübelte Sumaya, damit ich Cord wirklich nicht erzähle, woran ich gerade arbeite, beziehungsweise arbeiten sollte, damit die Fraktionsgeschäftsführung nicht denkt, er sei sich zu sicher. Doch sie fand diesen Gedanken nicht überzeugend. Da musste noch etwas sein, etwas, von dem sie
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