Radio Miracoli und andere italienische Wunder
meines Vaters zu entfliehen. Wir einigen uns auf eine rehabilitierende Therapie, die es mir ermöglicht, meinen Vater nach Hause zu holen, und ich setze meinen Weg auf dem Gang fort. Der herrenlose Hund folgt mir und leckt mir die Hand, eine Spinnwebe blitzt für einen Moment im Gegenlicht auf. Irgendwann finde ich die Kraft, in das Krankenzimmer zurückzukehren, mich zu setzen und eine Unmenge nutzloser Handlungen zu vollziehen, um das Leiden meines Vaters und meine Frustration zu mildern. Ich schüttle seine Decke auf, ich kontrolliere die Infusionsnadel, ich befühle den Urinbeutel, der zum Platzen gefüllt ist, ich rufe die Krankenschwester, die nervös an das Bett tritt und den Beutel wechselt, während sie leise denjenigen verflucht, der dies eigentlich hätte tun sollen, es aber unterlassen hat. Meine Füße jucken, sagt mein Vater. Ich schlage die Decke zurück, sehe, dass seine Fußsohlen rissig und wund sind, beteure, dass ich gleich wieder zurückkommen werde, verlasse das Krankenhaus, laufe in die nächste Apotheke, kaufe eine Schrundensalbe, kehre zurück, fange an, die Füße meines Vaters einzucremen, ohne zu wissen, was in der Zwischenzeit in dem Zimmer vorgefallen ist, glaube, einen Anflug von Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, und denke mir: Nur nicht aufhören, wenn ich jetzt aufhöre, muss er weiterleiden, und folglich werde ich mein Leben lang seine Füße massieren. Da fällt mein Blick auf den Schlauch der Tropfinfusion, der sich mit Blut füllt, und ich unterbreche meine Massage für die Zeit, die es dauert, die Krankenschwester zu rufen, die wutentbrannt zurückkommt und mich anschnauzt, was es denn dieses Mal wieder gebe, während ich wortlos auf das Blut in dem Schlauch deute. Die Frau nimmt eine Spritze ohne Nadel und drückt etwas Flüssigkeit in die Kanüle, um sie von dem Blut zu reinigen. Mein Vater zuckt zusammen und unterdrückt mit aller Macht einen Schmerzensschrei. Aus tiefstem Herzen stoße ich einen lautlosen Fluch aus.
2
Ich habe meinen Vater nach Hause geholt und das notwendige Maß an Hilfe für ihn organisiert. Anschließend habe ich meine letzten Kraftreserven mobilisiert, um das Problem mit dem Kaffeeautomaten zu lösen. Als ich zu Alice zog, versuchten wir, jedem Gedanken an ein schlimmes Ende unserer Beziehung von vornherein den Schrecken zu nehmen, indem wir alle meine Habseligkeiten mit selbstklebenden Etiketten und meinem Namen versahen. »Siehst du, wenn es wirklich nicht klappen sollte, dann werden wir uns bestimmt nicht wie die anderen Paare wegen eines Kochbuchs massakrieren«, sagten wir. So war das. Vielleicht hätten wir außer diesen Klebezetteln auch noch einen Liste mit typischen, unbedingt zu vermeidenden Sätzen erstellen sollen. Aber das haben wir versäumt, und so war ich jetzt gezwungen, die üblichen Phrasen auszusprechen: Es liegt nicht an dir. Stimmt. Ich mache gerade eine schlimme Phase durch und brauche Zeit für mich. Stimmt ebenfalls. Und ich liebe dich noch immer. Riesenbockmist.
Daraufhin habe ich bei meinen Verwandten das Gerücht in Umlauf gesetzt, mein Vater würde einen Notar suchen, um sein Testament zu machen, was eine alte Tante und einen Cousin von mir dazu animiert hat, meinen Vater abwechselnd ein paar Stunden zu betreuen.
Nachdem ich in die Wohnung meines Vaters gezogen bin, gönne ich mir einen freien Vormittag und unternehme einen Ausflug. Es ist ein wunderschöner Tag, die Sonne scheint, und am Steuer der Geländelimousine, die ich mir von meinem Arbeitgeber ausgeliehen habe, gelingt es mir, alle negativen Gedanken beiseitezuschieben. Wann immer ich auf eine Autobahn einbiege und vor mir den vollkommen leeren Asphalt sehe, überkommt mich eine große Sehnsucht, weit, weit weg zu fahren und alles hinter mir zu lassen. Während ich noch darauf warte, dass sich dieser schwache Impuls zu einem zügellosen Migrationstrieb auswächst, begnüge ich mich mit einem eineinhalbstündigen Abstecher in Richtung Süden. Wie hieß es noch mal so schön in der Anzeige, die ich las, während ich den Schlaf des Alten bewachte? »Renoviertes Bauernhaus, drei Stockwerke, zwei Hektar Land, eingebettet in idyllische Landschaft.« Ich bin neugierig und möchte mit eigenen Augen sehen, was faul ist an diesem irdischen Paradies, das so viel kostet wie eine achtzig Quadratmeter große Wohnung in der Halbperipherie. Mir fallen sofort alle möglichen Gründe ein: Das renovierte Anwesen ist in Wirklichkeit eine baufällige Bruchbude, die nur einen
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