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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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keinen Aufschluß darüber, ob es nur bei dieser Art Risiko bleiben würde.
    »Wir treffen uns morgen vormittag um zehn, um die Gespräche wegen der Studios zu führen. Am Nachmittag kannst du einen Entwurf
     für deinen Vertrag bekommen.«
    Wir nickten beide.
    Dann fragte er: »Weißt du schon, wie deine Nachtsendung heißen soll?«
    »Jo«, antwortete ich, breit grinsend.
    »Und wie?«
    » Nachtratten .«

|121| 14. (I Just) Died In Your Arms
1984
    Liddy betrank sich nicht, nie. Jedenfalls nicht in meiner Gegenwart, während der vergangenen zwei Jahre, seit wir uns kennengelernt
     hatten. Aber jetzt tat sie es.
    Ein-, zweimal im Monat gingen wir tanzen. Ich mochte es nicht sonderlich, fühlte mich blöd, irgendwie zur Schau gestellt,
     auf sehr lächerliche Art, wenn ich auf dem Dancefloor herumhampelte, nach Bewegungen suchte, die mir zur Musik passend schienen.
     Unkontrolliert, weitestgehend. Tanzen hatte ich nie gelernt. »Das kann jeder«, behauptete Liddy, aber ich konnte es nach wie
     vor nicht, und wenn ich mich umsah, ging es offensichtlich vielen ähnlich. Doch ich gab mein Bestes – schließlich wollte
Liddy
mit mir tanzen, und was Liddy wollte, das hatte Bedeutung, mehr denn je, insbesondere seit unserer kleinen Krise vor nicht
     ganz einem Jahr. Schließlich hörte sie sich den ganzen Radioquatsch von mir an, tagaus, tagein, und die immer gleichen Stories
     aus dem Plattenladen, da war es nicht zuviel verlangt, mal über den eigenen Schatten zu springen.
    Das
eXTra
war ein muffiger und trotzdem fideler Club in der Kreuzberger Oranienstraße, zweigeschossig, dunkel, gleich gegenüber vom
Café Alibi
, wo wir ziemlich oft frühstückten, manchmal direkt nach dem Tanzengehen. Früher, vor Liddy, da hätten mich keine zwanzig
     Pferde in so einen Schuppen bekommen. Doch langsam gewöhnte ich mich an diese Art Kneipe, Club, wie auch immer es gerade hieß:
     amorphes, multinationales,
multifrisurales
Publikum, recht coole Musik, trashig, hart, laut, viel Indie-Krempel, und Bier nur von Flasche, gereicht von Keepern und Tresenmenschen,
     die sich verhielten, als wären sie schwerbewaffnete Lagerwärter, alles sehr fortschrittlich, sozusagen. Viel Pogo und Headbanging
     auf der Tanzfläche, manchmal ziemlich heftiges |122| Gerempel, ab und zu die eine oder andere Schlägerei. Ansonsten durchaus familiär, mit der Zeit. Meistens ließ ich Liddy alleine
     tanzen, was okay für sie war, ich saß nicht weit weg, und nahm Haltung an oder ging sogar zu ihr, wenn sie angebaggert wurde,
     was ständig passierte. Natürlich. Liddy hatte Ausstrahlung, sah gut aus – Liddy war
phantastisch
. Sie beherrschte mein Leben auf freundliche, angenehme Art. Sie durchdrang mich, war in mir, immerzu, hatte mich verändert.
     Und ich mochte das. Von ganzem Herzen. Leben ohne sie, das war nicht vorstellbar. Aber das Leben mit ihr, das hätte ich mir
     auch nicht vorstellen können.
Vorher
. Nicht im Traum.
     
    Nur heute stimmte irgendwas nicht. Sie kam von der Tanzfläche auf mich zu, gerötet, verwuschelt, verschwitzt, schwankte. Hatte
     schon fünf oder sechs Biere getrunken, dazu zwei Wodka, die ein Typ spendiert hatte.
Ein anderer
. Sie nahm ihre Flasche vom Tresen, schwenkte damit in der Luft herum, obwohl erst ein Drittel fehlte. Der örtliche Lagerwärter
     brachte ein neues Beck’s. Liddy kippte den Rest aus der einen Flasche und setzte in der gleichen Bewegung die nächste an.
     Normalerweise trank sie zwei, drei Gläser Wein an einem Abend. Maximal.
    »Ist alles in Ordnung?« brüllte ich.
    Liddy nickte, eine schwache, langsame Bewegung, sah mich dabei nicht an. Dann ging sie wieder tanzen. Ich blieb erst einen
     Moment lang sitzen, dann lief ich ihr nach.
    »Was ist denn los?« schrie ich gegen den verwaschenen Punk an, der durch den Laden dröhnte. Sex Pistols,
Anarchy In The U.K.
Gleichzeitig versuchte ich, irgendeine Bewegung zu finden, die dazu paßte und die ich ausführen konnte, ohne mich zum Totalhorst
     zu machen. Obwohl mir das jetzt gerade völlig egal war.
    Aber Liddy schüttelte nur den Kopf. Tanzte weiter, ignorierte mich. Ich ging zum Tresen zurück, drehte mich noch kurz zu ihr,
     und da meinte ich, ein Glitzern in ihren Augen zu sehen.
    |123| Tränen? Was zur Hölle hatte ich falsch gemacht?
    Seit jener Nacht, als die glutäugige Ratte durch die Wand zu kommen versuchte, hatte ich keinen so absolut schrecklichen Abend
     mehr verbracht. Ich saß da, hilflos, ratlos, zitterte, war völlig verängstigt.

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