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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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und es knallte
in
meinem Kopf. Nichts schmerzte, jedenfalls nicht sofort – jemand oder irgendein
Ding
hatte mich umgehauen. Ich lag auf dem Boden, blinzelte, meine Stirn und meine rechte Wange brannten, und mein Schädel zeigte
     erste Anzeichen einer Art Migräne. Vor mir standen zwei Kerle. Ich hätte gegrinst, wenn mein Kopf nicht so gedröhnt hätte,
     blinzelte wieder, meine Augen reagierten sehr merkwürdig.
    Einer war sehr groß und stämmig, der andere etwas kleiner und ziemlich dick. Sie trugen Skimasken, diese Dinger, die man im
     November auf den Gletschern braucht, Augen frei, die Nase – das war die Komponente, die mich eigentlich zum |217| Schmunzeln gebracht hätte – und der Mund. Warum die Nase? Der Rotz friert doch als erstes ein.
    Der Große machte einen Schritt auf mich zu und trat mir in die Eier.
    Das
tat richtig weh. Und außerdem traten mir danach beide in den Bauch, in die Seite – ich hörte ein Knacken zwischen den Knallgeräuschen
     von außen und innen –, bückten sich zu mir herunter, um mir ins Gesicht zu schlagen, mit den Fäusten, immer wieder, es machte
pang, pang, pang
. Das ging eine ganze Weile, zwei, drei Minuten lang, und bei all dem Scheißschmerz blieb ich seltsam klar. Sah jeden Schlag
     kommen, beobachtete die beiden Gesellen richtiggehend, während sie, ziemlich konzentriert, abwechselnd auf mich einschlugen;
     ich wehrte mich nicht, das hatte keinen Sinn. Dann hörten sie irgendwann auf und gingen ziemlich gemütlich davon. Sagten kein
     Wort, nix. Gingen einfach. Als sie zehn, zwölf Meter weit weg waren, zogen sie in aller Seelenruhe die Skimasken von ihren
     Köpfen. Es war viel zu dunkel, um irgendwas zu erkennen.
    Ich atmete tief ein, es tat höllisch weh, vor allem im Brustbereich, natürlich; Tränen kamen, meine Nase lief, mein Gesicht
     war irre heiß.
    »Scheiße«, stöhnte ich und versuchte, mich aufzusetzen. Das war nicht drin, definitiv. Mein Kopf blieb einfach liegen.
    Erst Liddy und jetzt das. Und in fünfzehn Minuten begann meine Sendung.
    Ich versuchte, zu rufen, aber statt eines volltönenden, wohlmodulierten »Hiiiiilfe!« brachte ich nur ein leise gekreischtes
Hirks
heraus. Glücklicherweise hörte ich kurz danach hinter mir Schritte, ich drückte meinen Kopf in den Nacken und sah einen alten
     Mann mit einem Hund kommen. Also, erst kam der Hund, dann wohl so eine lange, lange Schnappleine mit Aufrollmechanismus (bei
     den Dingern stellte ich mir immer vor, wie das Viech aus Versehen in die kleine Plastikbox gesaugt wird) und ein paar Meter
     weiter der Mann. Der kleine Pinscherpudelschnauzer erreichte |218| mich und schnüffelte interessiert an mir herum, aber wenigstens hob er nicht das Bein.
    »Ja, hol’s der Teufel, was machen Sie denn hier?« wurde ich gefragt, ein wenig vorwurfsvoll sogar.
    »Ich bin überfallen worden«, brachte ich mühevoll heraus.
    Er stellte sich neben mir auf. Grauer Filzhut, eine Art Lodenjacke. Mehr war nicht zu erkennen. Aber er erkannte mich, immerhin
     lag ich im Schein einer Straßenlaterne.
    »Sie sind der Mann vom Radio.
MarBrunn Radio
. Stimmt’s?«
    Langsam nahmen die Schmerzen überhand. Ich deutete ein Nicken an, was sicherlich seltsam aussah.
    »Könnten Sie etwas weniger moderne Musik spielen, ab und zu?«
    Es war eindeutig der falsche Zeitpunkt für Programmdiskussionen. Trotzdem nuschelte ich ein
Nein
.
    »Können Sie mir bitte helfen? Oder Hilfe holen? Ich habe Schmerzen. Man hat mich zusammengeschlagen.«
    Mir ging die Kraft aus. Der Mann nickte, machte glücklicherweise keine weiteren Programmvorschläge. Er holte die Leine ein,
     zerrte den Hund an sich heran und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war. Ein paar Sekunden später hätte ich
     ihm ein
Patrick-Lindner-Special
zugesagt.
     
    Aus der Sendung wurde nichts, natürlich. Im Marbrunner Krankenhaus, das teilweise in den Räumen des ehemaligen Klosters untergebracht
     war, stellte man zwei eher harmlose Rippenbrüche, Prellungen, Schürfungen und solche Sachen fest,
Hämatome
(dieses Wort hatte ich schon immer lustig gefunden), außerdem hatte ich eine Platzwunde am Hinterkopf, die genäht werden konnte,
     ohne meine wunderschönen Haare,
meine Liddy-Frisur
gänzlich abzurasieren. Schon zwei Stunden nach dem Überfall ging es mir deutlich besser, meine Eier hatten es überlebt, mein
     Gesicht fühlte sich aufgeblasen an, glühte, die Augen schmerzten, und natürlich |219| der gesamte Brustkorb. Irgendwer hatte sich über mich

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