Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Gesichter werden klarer. Es sind Paul, Florance, Asha und Iris. Wovon reden sie? Ich kann mich nicht erinnern. Verwirrt blicke ich auf meine schmerzende Hand und sehe, dass der kleine Finger fehlt. Zurückgeblieben ist nur ein blutiger Stumpf. Diesmal kann ich den Brechreiz nicht unterdrücken und übergebe mich an Ort und Stelle. Es ist pure Galle.
Während Paul meinen Oberkörper hält, presst Florance meine blutüberströmte Hand in den Stoff seines Oberteils.
Die Erinnerung kommt nur langsam zurück. „Wo ist Gustav?“, stoße ich hervor.
„ Ich weiß es nicht. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Was ist mit ihm?“
Paul zieht mich vorsichtig auf die Beine, ohne meinen Worten Beachtung zu schenken. „Kannst du gehen?“
Ich gerate in Panik. „Gustav war das. Er hat mir den Finger abgeschnitten.“
Entsetzt starrt Paul mich an, während Florance misstrauisch die Stirn in Falten legt. „Warum sollte er so etwas tun?“
Es gibt nur einen Grund, wofür Gustav meinen Finger brauchen könnte. Er will sich Zutritt zur Legion verschaffen. Kalter Schweiß bricht aus meiner Haut, als mir bewusst wird, was er vorhaben muss. Er will die Strommauer abschalten, aber Gustav und die anderen wissen nichts von den Mutationen. Ich muss ihn unbedingt aufhalten.
Schnell erzähle ich meinen Freunden von den Wesen außerhalb der Strommauer. Sie erkennen die Gefahr und bringen mich sofort zu Raymond und Sharon. Als ich ihnen von den Sichtungen der Legion berichte, sehen auch sie ein, dass unter diesen Umständen die Strommauer auf keinen Fall abgeschaltet werden darf. Wir machen uns sofort auf den Weg zur Legion. Glücklicherweise haben die Rebellen einen Weg durch die Wälder gefunden, der mit den Geländewagen befahren werden kann.
Als wir an den Höhlen, unserem ehemaligen Zuhause, vorbeikommen, erkenne ich, dass der Wüstendrift, mit dem Asha und ich gekommen sind, fehlt. Gustav muss ihn genommen und sich so einen noch größeren Vorsprung verschafft haben.
Als wir vor der Legion ankommen, herrscht bereits überall Aufruhr. Kämpfereinheiten patrouillieren im gesamten Gebiet. Während Sharon dafür ist, sofort anzugreifen, schlage ich ihnen vor, erst einmal vorzugehen. Sie sollen erst angreifen, wenn ich nach zehn Minuten nicht wieder da bin.
Raymond und die anderen stimmen meinem Vorschlag zu, sodass ich alleine aus dem Geländewagen klettere. Asha greift nach meiner Hand.
„ Pass auf dich auf!“
Ich lächle ihr dankbar entgegen und presse die verletzte Hand gegen meine Brust. „Pass du lieber auf dich und die Kleine auf“, entgegne ich lächelnd und streichle Iris, die neben Asha sitzt, liebevoll über den Kopf. Wir werden uns wiedersehen und zwar noch heute. Ich lasse nicht noch einmal zu, sie zu verlieren.
Ich schließe die Augen und atme einmal tief durch. Es ist wichtig, dass ich von mir selbst überzeugt bin, denn nur dann kann ich auch andere überzeugen, und ich werde heute viel Überzeugungskraft benötigen. Ich denke an alles, was mir A350 beigebracht hat. Sie ist eine gute Lehrerin.
Zielstrebig gehe ich auf die eingeteilten C-ler zu, die sofort warnend ihre Laserstrahlen auf mich richten.
„ Keinen Schritt weiter!“
Ich erhebe meine Stimme und bin selbst überrascht davon, wie voll und stark sie klingt. „Ich bin Legionsführerin A518. Ich wurde von Rebellen angegriffen und muss sofort die anderen warnen. Ich befehle euch, mich passieren zu lassen.“
Die Kämpfer verharren nur den Bruchteil einer Sekunde, dann senken sie die Waffen und schleusen mich zu dem Aufzug durch.
19. Verloren
Kaum, dass ich den Aufzug verlassen habe, stürzt auch schon A233 auf mich zu. Sie wirkt völlig durch den Wind und blickt mich irritiert an.
„ Was tust du hier?“
Eilig stürzen an uns andere Legionsführer und Kämpfer vorbei. Es herrscht das bloße Chaos.
„ Ich wurde von einem Rebellen angegriffen. Er hat mir einen Finger abgeschnitten...“, sage ich und hebe wie zum Beweis meine Hand mit dem T-Shirt von Paul hoch, das mittlerweile mit Blut vollgesogen ist.
„ ...und sich damit Zutritt zur Legion verschafft“, beendet sie den Satz für mich.
„ Habt ihr ihn schon gesehen?“, frage ich, obwohl die Antwort offensichtlich ist. Gustav muss der Grund für das hier herrschende Chaos sein.
„ Er hat sich im Kontrollraum verbarrikadiert und fährt gerade das System der Strommauer runter. A350 ist bei ihm.“
Ohne ein weiteres Wort renne ich sofort los. Vor der verschlossenen
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