Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Sind Gustav und die anderen auch bei euch?“
Sharon rümpft angewidert die Nase. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dir auch nur ein Wort verraten werde. Du hast schon immer zum Feind gehört. Schau dich doch nur an in deinem weißen Anzug!“
Die anderen drei rücken mir mit ihren Messern bedrohlich entgegen. Sharon wusste genau wie alle anderen von dem Plan, mich in die Legion als Führerin einzuschleusen. Warum macht sie es mir jetzt zum Vorwurf? Haben sie ernsthaft von mir erwartet, dass ich nur mit den Fingern schnipse, und alle ihre Probleme lösen sich in Luft auf? Dachten sie, ich würde einfach die Strommauer abschalten, ohne an die Konsequenzen zu denken. Es wäre fatal gewesen, wenn ich an die abscheulichen Wesen denke, die die Kameraaufnahmen zeigten. Die Rebellen kennen nicht einmal die Wahrheit, aber verurteilen mich.
„ Was passiert jetzt mit uns?“, fragt Asha scheu.
„ Das wissen wir noch nicht. Vielleicht schicken wir eure Leichen als Warnung zurück zur Legion“, antwortet einer der anderen Rebellen abwertend und ich denke schaudernd an den Berg der toten Körper der Mitentführten. Finn hat sie damals einfach ermordet. Oder doch nicht? Ich hatte nie die Chance, ihn zu fragen? Ein Teil von mir hofft noch heute, dass er es nicht war. Obwohl ich ihn liebe, könnte ich es nicht ertragen.
Als ich ihnen antworte, versuche ich mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. „Damit würdet ihr ihnen nur einen Gefallen tun. Sie suchen ohnehin nach uns.“
„ Warum?“
„ Ich habe einen Legionsführer umgebracht“, antwortet Asha stolz. Sie bereut es nicht eine Sekunde, egal, was mit uns auch passieren mag.
„ Er hatte es verdient“, fügt sie flüsternd, wie zur Erklärung, hinzu.
Sharon und die drei anderen Männer tauschen einen kurzen Blick aus, dann führen sie uns durch den Wald in ihr Lager. Es gibt nur wenige Zelte, aber dafür umso mehr Menschen. Ich bin beeindruckt davon, wie viele es sind. Doch trotzdem strahlt ihre Ruhestätte keine Gemütlichkeit oder Wärme aus. Alles ist zum Aufbruch bereit. Sie rechnen jederzeit mit einem Angriff. Mit meinen Augen suche ich die Menge nach einem bekannten Gesicht ab, jedoch erfolglos. Was ist nur aus Gustav und den anderen geworden? Haben sie es nicht geschafft? Was ist mit Iris?
Sharon schubst mich vorwärts und gibt mir nicht die Möglichkeit, die Menge länger nach bekannten Gesichtern abzusuchen. Sie führt uns zu einer Plane, die zwischen zwei Bäumen gespannt wurde. Es stehen zwei Personen darunter, doch da ihre Gesichter im Schatten liegen, erkenne ich sie erst, als wir beinahe vor ihnen stehen. Es sind Raymond und Gustav. Gemeinsam mit Sharon bilden sie die Führungsspitze der Rebellen. Sharon für den Süden, Gustav für den Westen und Raymond für den gefallenen Norden. Irgendwie muss ihm und den anderen Rebellen die Flucht gelungen sein, bevor die Strommauer ausgeschaltet wurde. Nur der Osten hat keinen eigenen Rebellenführer.
Ich freue mich natürlich besonders darüber, Gustav wiederzusehen, auch wenn er verändert wirkt. Mit meinem strahlendsten Lächeln trete ich ihm entgegen. „Gustav, es tut so gut, wieder bei euch zu sein“, beteure ich ihm und meine es aus tiefstem Herzen.
Doch Gustav zuckt nicht einmal mit der Wimper. Sein Gesicht ist zu einer grimmigen Maske erstarrt. Tiefe Furchen liegen rund um seine Augen, wo zuvor viele freundliche Lachfalten waren. Sein schelmisches Spitzbubengrinsen ist zu einem verbissenen, schmalen Strich geworden. Auch der Glanz in seinen Augen ist erloschen. Wut verdüstert seinen Blick.
„ Wirklich? Das überrascht mich“, erwidert er kalt und zeigt damit zwar deutlich, dass er sich an mich erinnert, aber nicht im Geringsten froh darüber ist, mich zu sehen. Seine Reaktion verletzt mich mehr, als ich gedacht hätte. Gustav war immer freundlich, witzig und herzlich. Ihm verdanke ich meinen Namen. Auch wenn er nicht immer ehrlich war, konnte ich mich stets auf ihn verlassen. Mir ist klar, dass Maries Tod ihn mehr getroffen haben muss als jeden anderen, immerhin war sie seine Frau, aber es war nicht meine Schuld. Ganz im Gegenteil, ich habe alles getan, um die Rebellen vor dem Angriff zu warnen. Warum behandelt mich dann plötzlich jeder wie eine Verräterin? Ihr Benehmen mir gegenüber ist in keiner Weise gerechtfertigt und genau das macht mich wütend.
„ Kann mir bitte mal jemand sagen, was mir eigentlich vorgeworfen wird? Ihr behandelt mich wie eine Verbrecherin, dabei habt ihr
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