Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Wahrscheinlich würde er etwas sagen wie ‚Ich wusste immer, dass du eine von ihnen bist. Ich hätte niemals daran zweifeln dürfen.‘
Vielleicht stimmt es sogar. Seit meiner Geburt gehöre ich zur Legion und je mehr ich über sie erfahre, umso mehr beginne ich, ihre Beweggründe zu verstehen, wobei das nicht bedeutet, dass ich damit einverstanden bin. Es gibt so vieles, das ich ändern möchte, aber ich möchte es ohne Krieg tun. Denn so falsch viele Entscheidungen der Legion auch gewesen sein mögen, sie taten es immer in der Absicht, einen weiteren Krieg zu vermeiden, und diesen Gedanken teile ich mit ihnen. Finn sagte immer, man müsse etwas riskieren, um etwas gewinnen zu können. Aber meiner Meinung nach gibt es nichts, das es wert wäre, das Leben unschuldiger Menschen zu gefährden. Das würde Finn nicht verstehen, aber vielleicht würde seine Schwester es anders sehen. Zoe hat in der Sicherheitszone gelebt. Sie kennt die Menschen. Wäre sie wirklich bereit, ihrer aller Leben zu riskieren, nur um selbst in Freiheit zu leben? Wären ihr Clyde und ich egal? Sie hat uns kennengelernt und weiß, dass wir uns nicht von ihr oder den Rebellen unterscheiden. Genauso ist es mit jedem anderen Menschen in der Sicherheitszone. Jeder trägt eine einmalige Persönlichkeit in sich, die nur darauf wartet, sich entfalten zu dürfen.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich nun eine Legionsführerin bin, was bedeutet, dass ich tun und lassen kann, was immer ich möchte. Wenn ich der Sicherheitszone einen Besuch abstatten will, brauche ich nur in den Aufzug zu steigen. Selbst Zoe kann ich sehen, wann immer ich will.
Aufgeregt schlage ich meine Decke zurück und schwinge meine Beine über die Bettkante. Schnell streife ich das weiße Nachthemd über meinen Kopf und steige erneut in den Anzug der Legion. Die Tür meines Zimmers öffnet sich problemlos. Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, nun die Freiheit zu besitzen, hingehen zu können, wo immer ich möchte. Es gibt keine Barrikaden, keine Schlösser und keine Verbote. Wenn ich wollte, könnte ich wahrscheinlich sogar an die frische Luft gehen. Als Legionsführerin stehen einem alle Wege offen. Trotzdem klopft mein Herz wild gegen meine Brust, als ich den gläsernen Aufzug erreiche. Nervös lege ich meinen Daumen auf den Scanner und warte ab. Es dauert einen Moment, dann erscheint ein rotes Licht und der Computer verkündet: „Zugriff verweigert.“
Das kann nicht sein! Ich bin doch Legionsführerin. Vielleicht war mein Daumen vor lauter Aufregung zu feucht von dem Schweiß meiner Handflächen. Zittrig wische ich meine Hände an meinen Oberschenkeln ab und lege meinen Daumen erneut auf den Scanner. Wieder erscheint ein rotes Licht, gefolgt von der Angabe „Zugriff verweigert.“
Das darf doch nicht wahr sein! Warum funktioniert es nicht? Bin ich vielleicht im System noch nicht registriert? Aber meine Zimmertür lässt sich doch auch öffnen.
Erschrocken fahre ich herum. Neben mir steht der einzige Legionsführer aus meiner Generation. Ich habe ihn nicht einmal kommen gehört.
„ Ich wollte nur…“, ich stocke und fühle mich etwas dumm dabei, „ins Atrium fahren. Aber die Tür öffnet sich nicht“, beende ich den Satz, denn die Wahrheit kann ich ihm wohl schlecht sagen. Selbst A350 würde einen Besuch bei Zoe auf der Krankenstation nicht gutheißen. Im Grunde hat sie mir sogar den Umgang mit ihr verboten.
„ Das ist kein Wunder, du hast noch keine Berechtigung“, entgegnet der Junge mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen und einem stolz erhobenem Kopf.
„Ke ine Berechtigung?“, wiederhole ich verwirrt. Ich dachte, ich wäre ein vollwertiges Mitglied.
„ Du musst dich erst als vertrauenswürdig erweisen“, erklärt er schulterzuckend, bevor er hinzufügt: „Ich erhielt meine vollen Rechte nach einer Woche.“
Er sagt es in einem Tonfall, der mir deutlich macht, dass er nicht erwartet, dass es bei mir genauso schnell gehen wird. Allgemein fällt es mir schwer, ihn einzuschätzen. Zwar strahlt er nicht die typische Kälte der älteren Legionsführer aus, trotzdem hat er etwas an sich, dass es mir nicht leicht macht, eine Verbindung zu ihm aufzubauen.
Er scheint zu merken, dass ich ihn mustere, denn plötzlich winkt er lachend ab. „Entschuldige bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin A566. Früher einziger Legionsführer der fünften Generation. Doch seitdem du da bist, bin ich wohl nur noch der einzige männliche
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